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Katz & Maus von Roland Keschel

Als ich Wolfgang eine Sms schicke, in der ich nachfrage, wie’s im Urlaub so läuft, kommt eine Beschreibung der Gänge vom letzen Abendessen zurück.

‚Er wird noch dicker’, hab ich mir gedacht, ‚er wird dicker, wie alle dicker werden. Und aus einmal pro Woche Sex mit Claudia wird alle zwei Monate einmal.’

Die Luft wird dünn im Reich der Leidenschaft, mindestens wenn du dich hinsetzt, ausruhst, wenn du also nicht mehr unterwegs bist, von einem Paradies zum nächsten. Wenn du älter wirst, wenn du gemütlich wirst. Wenn es keine Gelegenheiten mehr gibt, weil die meisten Kolleginnen an deinem Arbeitsplatz auch schon alle verheiratet sind, weil die Praktikantinnen von deiner Sekretärin und also nach fachlichen Gesichtspunkten ausgewählt werden, weil du dich nur noch einmal in der Woche mit deinem Freunden triffst, und zwar in einer netten Bar, weil’s da ‚nicht so laut’ ist und ‚man sich unterhalten kann’ und weil da eben ausschließlich so Kegelbrüdergruppen wie du und deine Kumpels rumhängen. Wenn du aufgegeben hast oder wenn du in einer festen Beziehung bist.

Kotzt mich an. Ich will vögeln. Ich will leidenschaftlichen Sex, ich bin noch nicht raus aus dem Spiel, ich sehne mich danach vor Lust zu zittern, dieses Gefühl eine feste Brust zu greifen, Münder sich verschlingen lassen bis es keine Zunge mehr gibt, in Fleisch krallen, dieses verzweifelte Stöhnen kurz vor dem Höhepunkt, das Weinen und Kreischen und Betteln, dieses dem Körper und seiner Lust ergeben sein. Ich bin nicht raus, verdammt noch mal! Ich bin reif, ich bin sportlich und ich hab einen guten Job mit einem ordentlichen Gehalt. Das sollte sich doch umsetzen lassen.

 

‚Getcloser’ hieß das Portal und klang damit schon mal ganz viel versprechend. Nicht so ordinär oder zielgerichtet, wie man das erwarten konnte. Näher kommen. Sich näher kommen. Genau das war es ja, was ich wollte. Kein Tunnelblick aufs andere Geschlechtsteil. Ein vorher, ein nachher gab es auch. Und sollte es auch geben. Die in derbem Lila angelegte Seite mit geschwungener Schnöselschrift trug dem schlichten Namen nicht Rechnung. Irgendwas zwischen pseudoexsaltiertem Philip-Starck-Look und diesem komischen Spruch ‚Lila, die letzte Hoffnung’, der ja genau das bedeutete, für was der französische Designer stand. Laut sein, um aufzufallen.

Ich musste mir ein Pseudonym und ein Kennwort ausdenken. ‚JohnnyWalker, JWalker und andere Abarten waren peinlich und gottseidank schon besetzt – ich weiß nicht, ob ich das im Nachhinein hätte ändern können. Durch die besetzten Pseudonyme aufmerksam gemacht, begann ich mir zu überlegen, welche Art von Namen denn zu mir passen konnte. Nicht zu kopflastig, kein Overstatement, authentisch, natürlich und trotzdem phantasievoll. Auch Spaß und Genuss sollten mit drin sein. Auf der Frontseite von ‚Getcloser’ konnte ich auch einen Mann suchen und in der Ergebnisliste schauen, was die anderen tun - Wallerderknaller, Superstecher, Rammler, Fritz 121, Andiverstaendnisvoll, esgibtihndoch – es gab alles. Ich entschied mich für BobRoss; das hatte etwas von Sunnyboy, war ein bisschen kreativ, relaxed, Flowerpower und fingerfertig. Alter und Gewicht drückte ich ein wenig nach unten, den Rest beantwortete ich ganz ehrlich. Eigener Charakter und Partnervorstellung waren mit ein paar lockeren Worten schnell beschrieben, auch der ziemlich ausführliche Multiple-Choice-Fragebogen, was meine sexuellen Vorlieben anbelangt, wobei ich mich und verschiedene Kürzel erst durch die Suchmaschine jagen musste: CS konnte ich nur über Google rauskriegen, auf GS und ONS hätte ich schon selbst kommen können.

 

Dann raus auf die Weide: In einer Profilsuche habe ich meine perfekte Partnerin zusammengestellt. Haarfarbe und –länge, Augenfarbe, modischer Style, alles egal. Alter, Gewicht und Größe waren meine Parameter: Schlank, groß, jung. Kein Pferd, kein Walross, kein Stecken. Kein Kobold, kein Rumpelstilzchen. Und keine biologische Uhr, die mehr oder weniger laut am Ticken war – trau keiner über siebenundzwanzig. Ich wollte eine, die ich genießen konnte, die auf mich stehen könnte und die mit mir genießen wollte. Lust aufs Leben, gutes Essen ausschweifende Nächte, alles. Das hieß aber auch: Der Kopf gehört dazu; und eine Anforderung an das, was sich im Kopf befinden sollte.

 

Auf der Weide grasten rund zweihundert Profile von Frauen zwischen zweiundzwanzig und siebenundzwanzig Jahren, die meine Kriterien erfüllten und nicht weiter als hundert Kilometer von meiner Jagdhütte entfernt wohnten. Bereits in weniger als fünf Kilometern Entfernung gab es zwei Superhotshots, deren Traumkörper sich in einmal unter der Dusche in einem halbdurchsichtigen, von der offensichtlich noch laufenden Dusche durchnässten T-Shirt räkelten. Zum anderen hatte sich das Objekt der Begierde nur mit einem Slip bekleidet vor der Ikeaschrankwand mit Selbstauslöser abgelichtet. Das war’s. Mein Forum. Genau sowas brauchte ich.

 

Ich hab mir kurz ein Frauenprofil angelegt, das, solang man nicht über 45 Jahre alt war, umsonst war. Und nach ein paar überprüften Charakterangaben anderer männlicher Spätzünder war ich mir sicher, dass ICH – wie ich war – als Bombe auf diesem Markt einschlagen müsste. Poser, Pisser und Proleten – von zwanzig durchforsteten Profilen war vielleicht eines dabei, das – wäre ich eine Frau – spannend genug wäre, um zu antworten. Erstaunlich war allerdings, dass die Anmache zum großen Teil so bürgerlich gediegen lief. Wenige Männer, die einfach nur schmutzigen Sex wollten, mit ihren Genitalmassen warben oder auf andere klare Art zu verstehen gaben, dass sie starke, durchsetzungsfähige Kerle waren. Die Konkurrenz, neunzig Prozent davon in der Altersklasse Vierzig plusminus fünf Jahre – also ich – warb als Mischung aus Frauenversteher, Sportstudent, als genussinteressierte Viel-Essengeher, die auch mal ein Buch in die Hand nahmen für sich und ihre Körper. Und sagenhaft waren die Kontaktmöglichkeiten: ich hatte als Frau kein Bild eingestellt, kaum Angaben über mich gemacht; aber allein während meines etwa zehnminütigen Checks erreichten mich 25 Mails.

 

Über Kreditkarte schaltete ich meinen Account für einen Monat frei – das sollte reichen. Jetzt konnte ich kontakten. Der Versuch, eine abweichende Teasermail zu entwerfen, war gar nicht so einfach. Es war das Prinzip Anmachspruch und erste Versuche nur in Nuancen vom Klassiker aus den Aufklärungsfilmen der Siebziger zu unterscheiden. ‚Hey, bei mir steigt noch ne Party. Kommst du mit?’

Das Ziel war klar, musste aber fadenscheinig verschleiert werden, wobei beiden Beteiligten diese Verschleierungstaktik bewusst war. Die Aufteilung in aktiven und passiven Part ergab folgerichtig eine Rollenverteilung in lächerlicher und ein starker Figur – alles schon lang her, aber eben wie früher.

Ich entschied mich dafür, meine Recherche als Aufhänger für meine Email an meine Favoritinnen zu benutzen; ich lamentierte witzig über meine kurzen Erfahrungen als Frau auf Getcloser, formulierte dann eine auf das Profil der jeweils angeschriebenen Herzensdame angepassten Schlussgedanken und verabschiedete mich. Zehn solcher Mails wurden abgeschickt, dann loggte ich mich aus, ohne den Benachrichtigungsservice auf mein Handy einzuschalten: Meine Frau Monika benutzte mein Handy hin und wieder für lange Telefonate mit ihrer Mutter; Businessflatrate.

 

Am nächsten Abend – Monika war schon im Bett – öffnete ich meinen Account. Drei Klicks waren auf meinem Profil, zwei Nachrichten in meinem Postfach und ich der Überzeugung, dass das nach vierundzwanzig Stunden eine Topquote war.

‚Freak?!’ war die erste kurze Antwort von nixfuerlangweiler und es dauerte sicher fünf Minuten Analyse ihrer Charakterangaben, Vorlieben, Wünsche und Partnervorstellungen bis ich mir sicher war, dass das keine Frage war, die beantwortet werden wollte.

Die zweite, sexiiisadie, hatte nur mein Profil angesehen. Eine zeitlang hab ich überlegt, ob das die weibliche Art von Annäherung hier auf dem Portal sein könnte, bin aber zu der Überzeugung gekommen, dass die Nachricht von mir den Klick aufs Profil verursacht, dann den Blick aufs Profilbild und alles weitere. Oder eben nicht. Die Dritte, sugarcandy 24, hatte geantwortet:

 

‚Hi, danke für deine interessante Mail (lachsmilie) ... leider war ich grad nicht online....aber vielleicht ergibt sich ja demnächst mal ein kleines gespräch...oder mehr (wieder lachsmilie) kisses....katrin’

 

Das war doch was? Ich klickte auf sie. Nur die Augen waren zu sehen, schöne blaue Augen, blonde Haare, hohe Stirn. Wahrscheinlich hatte sie wirklich halbwegs Hirn. Ich überflog die Grundangaben. 63 Kilo bei 168 cm Größe. Hoffentlich war die nicht so ein Fass, untenrum. Ich mein, irgendwo musste der Fehler ja sein. Jemand der so schnell so positiv reagiert? Monika wog 55kg bei 170 cm. Angsthase, fiel ich mir selbst in meine Gedanken, und schrieb.

 

‚Wie geht’s denn weiter, hier auf dem Portal? Ich bin neu hier. Und deine Augen wunderschön.’

 

Um den Apparat am Laufen zu halten schrieb ich noch eine Mail an ladyland1982, deren Bild auf den Empfehlungen für mich auf der Homepage zu sehen war; sie war schon dreißig, aber ich in meiner Euphorie grad großzügig. Außerdem dachte ich mir, dass ich nicht faul sein darf. Zehn mal anschreiben sind ein Chat, und vielleicht brauchst du zehn Chats für ein Treffen. Auf ihrem Profilbild, der nur eine Teil ihres Körpers zeigte, streckte sie den Arm nach oben, ihre Brust war zu sehen, eine große Brust, ein riesiger Warzenhof mit einem steifen Nippel. Das braune Haar fiel strähnig über die nackte Haut, ihr weibliches Becken kurvte zum Bildrand. Geil. Sie war dreißig und wohnte gute zwanzig Kilometer von mir entfernt.

 

‚Hast du das Bild morgens oder abends gemacht?’ hab ich gefragt. ‚In deinem Profil steht nicht viel von Dir, aber dein geiles Bild zeigt, dass du Mut hast.’

 

Das sollte genügen. Ein paar Tage vergingen. Wochenende ohne Ruhe für einen Login, abends einmal Kino, am nächsten Tag eine Einladung. Dann zwei Abende zwischen Sport und Job. Endlich kam ich dazu, mich in Ruhe einzuloggen.

 

Sugarcandy24 hatte nicht geantwortet. War ich zu offensiv gewesen? Oder zu vorsichtig? Spontan schrieb ich: „Aber du bist schon echt. Nicht nur digital? (Lachsmilie).

Ein Profil namens Hübsche2012 hatte mir eine Nachricht geschickt: Ob ich mal ihr Profil anschauen wollen würde und checken, ob sie was für mich sein könnte. D1 von  der Telekom wäre dabei wirklich wichtig. Ich wunderte mich. Zuerst dachte ich noch, ob die Werbetypen von so großen Unternehmen wie der Telekom jetzt wirklich virales Marketing auf solchen Seiten lancieren würden und dass das wohl ziemlich low wäre. Dann aber las ich unter Charakterangaben:

‚Hi Du, weiterlesen lohnt sich wirklich nur, wenn Du D1 von der T. hast und Gesellschaft beim Selbstbefriedigen suchst! Ich bin eine süße, selbstbewusste, liebe - böse, nette - zickige Frau. Einfach eine gute Mischung! Ich weiß was ich will und keiner von euch Männern hier, sollte das besser wissen wollen!

Vorlieben: 1. Geile Männer! Es gibt nichts Geileres als mich durch die Geilheit eines Mannes anstecken zu lassen! (Du kannst also gar nicht geil genug sein! Dauergeil? Herzlich Willkommen!)  2. Das Symbol der Männlichkeit! Was soll ich sagen? (Lachsmilie) Bin absolut schwanzgeil! 3. Alkohol!

Abneigungen: 1. Männer die mir schreiben obwohl Sie kein D1 von der T. haben! 2. Chat-einladungen, vor allem ohne vorher ein Wort geschrieben zu haben! Als Info: Da ich mit weniger als 1 Kb pro Sekunde surfe, ist chatten hier nämlich definitiv nicht möglich!!

3. Männer mit einem IQ unter 100 oder so schlechter Rechtschreibung, dass man sie nicht, oder falsch verstehen kann!

Erotische Vorlieben:

Du solltest genau das suchen was ich biete und das ist:

Gesellschaft beim Selbstbefriedigen!!!

Damit Du dafür in Frage kommst musst Du D1 von der T. haben!

Des Weiteren wären folgende Dinge klasse:

- Du bist aufgeschlossen und kannst Dich mit Worten gut ausdrücken!

- Wenn Du von mir etwas gefragt wirst, versuchst Du zumindest darauf zu antworten!

- Du versuchst auf mich einzugehen, so wie ich auf Dich, damit es richtig geil wird!

- Du kannst einhändig und SCHNELL SMS schreiben!

- Du trinkst ab und zu Alkohol.

PS: 1. Wenn wir uns länger kennen und es oft per SMS gemacht haben, ist zur Abwechselung auch Telefonsex möglich! (Zur Abwechselung, da ich momentan nicht alleine wohne.) 2. Ich suche keine Live-Treffen und keinen MMS-Tausch! 3. Dies Profil ist wie es ist, weil ich hier bei Live-Treffen zuviel schlechte Erfahrungen gemacht habe!’

 

Ich habe dann noch ihre Inseratsangaben gecheckt. Sie war ein ganz schön dickes (aber wenigstens ehrliches) Stück, 75 kg bei 170 cm Größe, gab in den allgemeinen Angaben an, keinen Alkohol zu trinken (das war auch der Punkt, wo ich mir sicher war, dass die Nummer kein virales Marketing von der Telekom sein konnte – die hätten so einen Fehler nicht gemacht) und wohnte in Niedersachsen. Kurz versuchte ich mir vorzustellen, wie ich mich in so einer Form von Sex wohl fühlen würde – abgesehen davon, dass ich mir erst mal nen teuren D1 Vertrag hätte besorgen müssen. Absage in einem Satz, Logout.

 

Das nächste Mal, dass ich wieder auf Getcloser war dauerte um die fünf Tage. Nicht, dass ich das Interesse verloren hatte; ich muss zugeben, dass ich nicht mehr lichterloh brannte. Sugarcandy hatte nicht geantwortet – das enttäuschte mich. Ich schrieb ihr eine kurze Nachricht, von wegen ihres so netten, natürlich geschriebenen Profils und dass ich es wirklich schade fände, sie nicht kennen lernen zu können.

Vielleicht war meine Standardmail mit der Analyse, wie’s den Frauen hier so ergeht, wirklich freaky? Aus meiner Profilsuche von letztem Mal nahm ich zehn Profile von spannenden Frauen und formulierte für jede ein paar auf ihre Angaben hin geschriebene Sätze mit einer schönen Abschlussfrage. Ich hab mich wirklich bemüht. Logout, gute Nacht Monika, unruhiger Schlaf.

 

Diesmal dauerte es drei Tage, bis ich wieder Zeit hatte, bei Getcloser vorbeizuschaun. Ich hatte zwei Klicks auf mein Profil und eine Nachricht. Sugarcandy24 hatte wieder nicht geantwortet. Die Nachricht war von ladyland1982, der Frau mit dem Foto von dem geilen Nippel, die ich zehn Tage zuvor angeschrieben hatte. ‚Wundre dich nicht’ stand da drin, ‚das hier ist eine Standardmail. Vielleicht passt du ja auf das, was ich such. Aber antworte nur, wenn du wirklich passt!’ Und dann gings los:

‚Ich suche wirkliche Männer, nicht unter 18/5 – verarscht mich nicht, ich hab die Typen schon auch rausgeschmissen, wenn sie beschissen haben. Du wohnst in der Nähe, keinesfalls mehr als 100 km entfernt. Ich lebe in einer gut funktionierenden Partnerschaft. Wenn wir uns treffen, wir mein Freund dabei sein, auch wenn wir miteinander vögeln. Du bist geduscht, wenn du kommst, ziehst dich zuerst aus. Dann streichelst du mich überall. Wenn ich will, kann ich dir die Augen verbinden. Bei Sympathie sind Küsse erlaubt. Nachdem wir uns mit den Händen lange überall gestreichelt haben, benutzt du ein Kondom und dringst du von hinten ich mich ein. Mein Freund sitzt vor uns, vielleicht küsse ich ihn jetzt. Ich mag harte Bewegungen und brauche ausdauernde Männer (etwa 10 Minuten). Nachdem wir beide gekommen sind will ich, dass du zügig gehst.’

 

Ich war baff. Seit dieser Mail war ich noch einmal da. Sugarcandy24 hat nicht geantwortet, aber geklickt. Sonst nichts.

Gestern hatte ich seit langem wieder einmal ein Bewerbungsgespräch mit einer Praktikantin.