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Frauenfußball von Ulrike Mayrhofer und Carmen Schmit

Der Toast ist diesmal nur halbverbrannt. Morgens ist einfach nicht meine Tageszeit. Mittags jedoch auch nicht. Holger streicht mir über den Rücken und setzt sich gegenüber hin. Alles in mir will zu ihm.

Seine Tochter Katja steht mit dem Rücken zu uns.

Hey, was haltet ihr davon, wenn Maya heute Papas Lieblingsessen kocht?“, wirft sie über die Schulter in den Raum.

Anstoß.

Ich schlucke. Dieses Biest. Wenn Holgers Lieblingsessen nicht Rührei oder die Pizza vom Lieferservice ist, stehen meine Karten schlecht. Was haltet ihr davon, wenn wir Katja zur Adoption freigeben?

Nein, Schatz, Truthahn ist zu viel Aufwand. Außerdem muss Maya arbeiten.“

Ja und außerdem sitzt Maya auch am Tisch und kann mit 38 sogar schon sprechen. Unglaublich, aber wahr. Ich räuspere mich.

Also, das wäre für mich kein Problem. Aber hast du uns letztens nicht erzählt, dass das Abschlachten von Tieren sich nicht mit deinen ethischen Grundsätzen vereinbaren lässt, Katja? Und das Ausstopfen von einem wehrlosen Truthahn würde doch darunter fallen, oder?“

Die kleine Kröte zieht eine Schnute.

Abstauber. 1:0 für mich.

Holger nickt und holt sich ein Croissant aus der Küche. Katja setzt sich neben mich und flüstert mir süffisant ins Ohr: Also, ich hab‘ ja nur an dich gedacht, Bienchen. Du willst Papa doch imponieren. Und mit Vögeln kennst du dich ja bekanntlich aus.“

Ausgleich zum 1:1.

Grundsätzlich habe ich nichts gegen Ausstopfen. Aber es muss nicht unbedingt ein Truthahn sein.

Im nächsten Moment nimmt Katja ihr Glas Orangensaft und gießt es über meine Bluse.

Uuuuups.“

Klares Foul.

Tief durchatmen. Ganz tief durchatmen. Aber nicht kollabieren. Zulange schon bewege ich mich auf dem schmalen Grat zwischen vorgetäuschter Freundlichkeit und absoluter Gewaltkontrolle, als dass mich diese Aktion nun aus der Bahn wirft. Nicht, nachdem ich Mitte dreißig einsehen musste, völlig allein am Bahnhof der Liebe zu stehen: Endstation. Zielsicher hatte ich nicht nur jeden richtigen Zug verpasst, sondern war sogar regelmäßig auf die falschen aufgesprungen.

Und was blieb schlussendlich (abgesehen von der bitteren Erkenntnis) zurück? Ich und ein Haufen armseliger Penner. 

Es gibt immer einen Grund, wenn Männer in diesem Alter noch alleine sind. Und dem genauer auf den Grund zu gehen, ist meiner Erfahrung nach nicht ratsam.

Doch manchmal, viel zu selten, öffnet sich eine Tür, und ein Secondhand-Mann betritt den Bahnsteig. Schon benutzt, aber noch brauchbar. Das einzig Blöde ist, dass er meist Gepäck mit sich rumträgt. Und selbst wenn es sich dabei nur um einen hässlichen, fünfzehnjährigen Rucksack handelt.

Holger ist meine einzige Chance auf Glück. Und das pubertierende Balg hat eine wichtige Regel missachtet: stelle dich niemals zwischen Reiner Calmund und das Buffet oder zwischen eine Frau und den Mann, den sie liebt. 

Geduldig tupfe ich mit einer Serviette meine Bluse trocken. Katja grinst mich von der Seite an.

Was ist denn da passiert?“ Holger sieht irritiert von mir zu seiner Tochter.

Nur ein kleines Missgeschick. Kommt vor“, wirft Katja schnell ein.

Jetzt geht sie also in die Defensive.

Ja, kommt vor“, bestätige ich und blicke sie eindringlich an. Kein Zeichen von Reue in ihrem Gesicht. Hinter dieser hübschen Fassade jugendlicher Unschuld lauern tiefe Abneigung und pure Hemmungslosigkeit.

Holger hat nichts bemerkt, soll nichts bemerken. Darüber sind wir uns einig, denn keine von uns will ihn vor die Entscheidung stellen. Katja hat Angst um ihre Rolle der perfekten Tochter, ich davor, überhaupt noch eine Rolle zu spielen.

Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Stichwort Patchworkfamilie. Bis jetzt mehr work als Familie.

In Google findet man (allein in Deutschland) unter diesem Begriff 379.000 Einträge. Ein ganzes Marktsegment ist hier entstanden. Unzählige Ratgeber mit klingenden Titeln haben das Land überschwemmt. Artikel in Fachzeitschriften. Hörbücher. Jeder hat eine Meinung hierzu. Weit hat mich mein Studium der Lektüre jedoch nicht geführt. Jeglicher Versuch einer Umsetzung der gutmeinenden Ratschläge, hat mir nur Spott und Hohn des kleinen Biestes eingebracht. Als hätte sie die Bücher zwecks Belustigung selbst verfasst.

Da sämtliche Ratgeber und Stoßgebete zu Gott (ich gehöre zur Glaubensgemeinschaft der Sporadisch-Gläubigen, die nur in schlechten Zeiten mit dem Herrn in Verhandlung treten) fehlschlugen, entschied ich, die Kampfansage anzunehmen.

Ich schmiere gedankenverloren mein Honigbrötchen. Katja und Holger unterhalten sich, lachen. Wenn ich wollte, könnte ich jetzt unbemerkt einen Löffel Honig auf Katjas neue Hose klatschen. Und dann wollte ich.

Konterfußball vom Feinsten.

Innerliche Zufriedenheit macht sich bei mir breit. Nicht besonders erwachsen, muss ich zugeben, aber das Gefühl der Genugtuung überwiegt die rationalen Argumente meines Über-Ichs. Würde ich einen Ratgeber verfassen, wäre das mein erster Tipp an die armen Frauen, die sich mit pubertären Teenagern auseinandersetzen müssen: nicht Honig ums Maul schmieren, sondern Honig auf die Hose klatschen. Ganz einfach.

Holger verabschiedet sich. Es könnte heute später werden. Ob ich Katja von der Schule abholen kann? Aber selbstverständlich. Mir kommt das Kotzen. Katja und ich sind alleine.

Bienchen, willst du etwa so zur Arbeit gehen? Ach ich vergaß, dass du ja eine Quotenfrau bist. Da fällt eine beschmutzte Bluse nicht ins Gewicht. Apropos Gewicht: solltest du in deinem Alter nicht mehr darauf achten?“

Ich lächle bemüht. Provokation hast du nicht erfunden, meine Liebe. Und deine Generation wird noch Nutznießer der Quote sein, auch wenn du das jetzt vielleicht nicht glaubst. Aber hoffentlich gibt es niemals, wirklich niemals Quotenkinder zur Pensionssicherung. Und mit dem Gewicht ist das so eine Sache.

Da hast du vollkommen Recht. Deswegen rationiere ich meinen Honig auch sehr gut.“ Ein Blick auf ihre Hose genügt. Sie springt auf und schüttelt den Kopf.

Du bist unter meinem Niveau, Bienchen.“ Mehr fällt ihr so spontan nicht ein.

Ach, das geht noch?“, antworte ich so blasiert wie nur möglich.

Der Ärger steht ihr ins Gesicht geschrieben, sie schluckt ihn mühevoll herunter, droht fast daran zu ersticken.

Nur weil du meinen Vater fickst, musst du dir gar nichts einbilden. Es waren schon Frauen vor dir da und es werden noch etliche nach dir kommen. Du bist zu alt, zu dick und zu hässlich für ihn.“

Blutgrätsche. Dafür gebührt ihr die rote Karte. In einem Satz alle Geister, die von keiner Frau mit klarem Verstand jemals gerufen würden, vereint. Zu alt. Zu dick. Zu hässlich. Das sind die drei großen Fragezeichen, denen man sich niemals stellen sollte, und sei es indem man sich mit Alkohol ablenkt oder Sex mit Typen hat, für die man sich im Nachhinein eventuell schämt. Alles ist besser, als im unaufhaltsamen Strudel des Selbstmitleides zu versinken, der einem dieselben drei Fragen in immerwährenden Kreisen vor Augen führt:

Bin ich zu alt? Zu dick? Zu hässlich? Oder alles zusammen?

Selbst ein einziges Ja“ würde ausreichen, um sich wie ein angeschossenes Tier ins Schokoladenreich zurückzuziehen. Doch zuvor muss man zur Beantwortung seinen eigens angefertigten Maßstab zur Hand nehmen und definieren, ab wann man die Grenze klar überschritten hat. Hierbei hilft der Vergleich. Doch Vergleiche sind der Tod. Ein paar wenige Glückliche vergleichen nach unten, die vielen Unglücklichen nach oben. Da ich selbst trotz diesem Wissen dem Aufwärtsdrang nicht widerstehen kann, stelle ich mir gewisse Fragen einfach nicht mehr. Ach, ich bin der Kröte ja noch eine Antwort schuldig.

Anscheinend steht dein Vater auf alte, dicke und hässliche Frauen. Pass nur auf, dass es nicht vererbbar ist…“

In gespielter Entrüstung reißt Katja die Augen auf. Dass sie noch keinen Freund hat, könnte ich jetzt mühelos ins Spiel bringen. Doch selbst ohne Konsultation meines Über-Ichs verzichte ich auf diese kleine Bemerkung.

 

Katja reißt die Wagentür auf.

Das hier ist sie, die Momentane. Aber sicher nicht mehr lange.“ Die Worte gelten ihren Freundinnen und die Lautstärke zielt darauf ab, dass ich es garantiert auch höre. Ein hämischer Gesichtsausdruck macht sich bei ihr breit. Ich erinnere mich an meine Teenagerzeiten. Wie eine schwerhörige Oma (ich habe als Momentane ja nichts zu verlieren) schreie ich Katja ins Gesicht: Katjaaaa, die Geschäfte schließen bald! Wir müssen doch noch deine Binden kaufen!“ Die Mädchen kichern. Ein paar Jungs drehen sich nach uns um. Es hat sich also nicht viel geändert. Regelblutungen sind nach wie vor äußerst unsexy. Die Bemerkung über Katjas Beziehungslosigkeit hätte ich in der Früh durchaus fallen lassen können, da sich an diesem Status in den nächsten Wochen nun höchstwahrscheinlich nichts mehr ändern wird.

Halbzeit.

Katjas Kopf ist so rot wie mein Auto. Sie steigt ein und sagt kein Wort. Ich fahre los, bloß nicht zu schnell.

Hättest du nicht noch von überdimensional großen und dicken Binden sprechen können? Das hätte das Ganze noch peinlicher gemacht“, zischt sie mich von der Seite an.

Stimmt. Wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Drei grüne Ampeln später erklärt sie mir mit glockenheller Stimme:

Weißt du eigentlich, dass Papa sich wieder mit seiner Ex Marianne trifft? Die war echt nett.“

Zielsicher bewegt sich ihr Stürmer in meinen Strafraum.

Marianne kenne ich noch. Es beginnt zu brodeln. Kühler Kopf. Kühler Kopf. Ich schicke meinen Verteidiger ins Feld. Meine Oma hat immer gesagt: Eifersucht, mei liabs Kindl, Eifersucht, is nur fürs Gsindl.“ Damit hat sie mich geprägt und ich versuche dem Drang, innerlich sämtliche Phantasiesituationen durchzugehen (Marianne trifft Holger, Marianne küsst Holger, Marianne verführt Holger), zu widerstehen. Geschafft. Dafür bin ich meiner Oma dankbar. Gut, Oma hat auch bewirkt, dass ich bei interessanten Männerbekanntschaften immer zuerst an Milch denken muss, denn: Kindl, warum soit a Mann die gonze Kuah kaufen, wenn er d‘Müch umsonst kriagt?“ Hat Marianne Holger tatsächlich ein Glas angeboten?

Kühler Kopf. Kühler Kopf. Nichts anmerken lassen. Ablenken. Ich streife die Kröte mit einem Seitenblick und lächle.

Weißt du eigentlich, dass man etwas gegen Hautunreinheiten tun kann? Ich kenne da einen guten Arzt.“

Ach wirklich? Und wieso gehst du dann nicht mal zu ihm?“

Mein Lächeln vertieft sich. Diese Art von Konter lässt mich nun wirklich kalt. Was ist los mit dir, Schätzchen? Einfallslos geworden?

In diesem Moment läutet mein Handy. Die Ampel schaltet auf Rot. Katja sieht mich erwartungsvoll an. Auf dem Display leuchtet ein Unbekannter Teilnehmer“. Vielleicht meine paranoide Mutter, ihr Festnetzanschluss hat eine Rufnummernunterdrückung.

Hallo?“

Ist da die geile Maya mit den Riesentitten“, keucht jemand heiser in mein Ohr.

Ich stocke für einen Augenblick. Das kleine Luder hat sich offenbar gesteigert in punkto kreativer Frechheit. Meine Anrufe entgegenzunehmen und mir den verschobenen Zahnarzttermin nicht auszurichten, war nur der Anfang gewesen. Meine Unterlagen von der Firma, die ich auf dem Tisch liegen gelassen hatte, unabsichtlich“ mit dem Altpapier zu entsorgen, fast schon harmlos. Doch nun ließ sie den Kindergarten hinter sich und begann mit den Waffen einer Frau zu kämpfen. Das konnte sie gerne haben.

Einen Moment bitte“, säusle ich meinem stöhnenden Gesprächspartner ins Telefon und reiche Katja das Handy rüber. Ist für dich.“

Sie legt die Stirn in Falten und hält es widerstrebend an ihr Ohr. Nach ein paar Sekunden mit dem Freund der großen Titten pfeffert sie mir das Handy zurück in den Schoß.

Igitt!“, bricht es aus ihr heraus. Ich zucke ungerührt die Schultern.

Du solltest diese Annonce schleunigst wieder verschwinden lassen, sonst könnte ich auf die Idee kommen, eine Rufnummernweiterleitung von meinem Handy auf deines einzurichten.“

Katja sieht mich entgeistert an und schweigt.

TOR! Ich verbeiße mir ein Lachen.

Sie durchwühlt ihre Handtasche nach einem Kaugummi. Dabei purzelt ein glänzendes, quadratisches Päckchen auf den Boden. Blitzschnell greift sie danach und wird schon wieder rot. Doch zu spät. Ich habe das Kondom bereits gesehen, und sie weiß es.

Wehe, du sagst das meinem Vater“, faucht sie mich an. Andererseits kannst du ihm erzählen, was du willst. Er würde dir sowieso nicht glauben, dass seine süße kleine Tochter Kondome mit sich herumträgt.“ Ihre Stimmung ist umgeschlagen und sie grinst mich überheblich an.

So eine Vorlage lass ich mir nicht entgehen.

Keine Sorge“, erwidere ich. Ich finde Kondome großartig. Nur schade, dass deine Eltern keines benutzt haben.“

Getroffen direkt in den Winkel.

Zum Glück kannst du keine Kinder mehr bekommen“, murmelt Katja halblaut, du bist sicher schon in den Wechseljahren. Deine Periode hast du nicht mehr, oder?“

Wieder rote Ampel.

Ich seufze.

Doch, ich habe meine Periode noch. Aber verzeih, ich habe ja vorausgesetzt, dass du sie auch schon hast. Nein du musst mir keine Antwort geben. Ich frag‘ dich einfach das nächste Mal, wenn ich dich abholen komme.“

Grüne Ampel.

 

Du bist im Zoo, stehst mit einer Zuschauermenge vor dem Tigerkäfig. Plötzlich geht die Käfigtüre auf. Was machst du?

Davonrennen.

Wie schnell musst du sein?

Schneller als der Langsamste.

Diesmal aber nicht. Ich will die Schnellste sein. Normalerweise betreibe ich gerne Enttäuschungsprophylaxe, doch in diesem Fall bin ich zu kämpfen bereit. Verluste sind nicht hinzunehmen. Der zweite Sieger ist schlichtweg der Verlierer. Ich will am Treppchen ganz oben stehen. Unbedingt. Um jeden Preis. Ich lasse mich nicht vertreiben. Weder von einer pubertierenden Tochter, noch von einer milchtrinkenden Ex-Freundin.

Deshalb habe ich einen fertigen Truthahn vom Restaurant bestellt und zusätzlich noch Tofu mit Reis gekauft (mmmh lecker!).

Alles ist angerichtet, Holger lobt mich für die spontane Idee, die Kröte wirkt äußerst still. Entweder arbeitet sie an einem neuen perfiden Plan oder egal.

Aber du hast doch gesagt, dass ich hingehen darf.“ Trotz springt aus ihren Augen. Holger äußert bestimmt: Nein, das habe ich nicht gesagt. Das hast du anscheinend vorausgesetzt. In deinem Alter habe ich noch mit Bauklötzen gespielt und du willst hier mit deinen Freunden Party machen.“

Der Schiedsrichter sieht rot.

Aber alle gehen dorthin und wenn ich nicht dabei bin…“

Ich unterdrücke ein Grinsen. Tja, dann bist du der Außenseiter. Die bitterbösen Regeln des Teenagerdaseins. Dagegen war meine Anmerkung mit den Binden rein gar nichts.

Bitte Papa…“

Ich habe schon nein gesagt, Katja. Es wird sicher noch andere Gelegenheiten geben.“

Aber…“

Sie könnte einem fast leidtun. Katja stochert in ihrem Trocken-Tofu mit Reis.

Ich zeige mich barmherzig.

Holger, lass sie doch gehen. Katja ist für ihr Alter doch schon sehr erwachsen und du kannst ihr vertrauen. Schließlich ist sie deine Tochter.“ Holger sieht mich an und überlegt.

Vielleicht hast du ja Recht…“ Das Handy läutet. Holger entschuldigt sich und geht ins Wohnzimmer.

Katja beugt sich zu mir und sieht mich argwöhnisch an.

Woraus hast du das denn? Ein Tipp aus dem Handbuch für werdende Mütter? Das ändert rein gar nichts, Bienchen.“

Nein, Katja, keine Sorge, darum geht es hier nicht.“ Ich lehne mich zurück und schaue verträumt lächelnd zu Holger. Der Tipp kommt nämlich direkt aus dem Handbuch Zeit zu zweit“.“

Abpfiff.