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Geschichten aus dem täglichen Sterben von Johann Bruckhuber 

Ich sitze da und katapultiere die Sätze ins Publikum, schleudere ihnen die Worte nur so entgegen.

Höre mich schreien, stöhnen, brüllen. An anderen Stellen wiederum flüstere ich, so leise, dass die Leute den Text kaum verstehen können.

Schon am Anfang der zweiten Geschichte bin ich auf dem Weg, die Lesung vom reinen Vortragen auf die Ebene einer Performance zu heben.  Passiert  eher selten. So etwas  kann man nicht planen. Vornehmen ja, planen nein. Spielen geht auch  nicht, ich will mein Publikum nicht verarschen. Nach dem letzten Satz der Short-Story brandet in der nicht ganz vollen Location, einem so genannten Literaturcafé, lauter Applaus auf. Schwitze wie ein Schwein, der Schweiß stürzt von der Stirn in die Augen. Sie brennen, kann kaum was sehen. Ich taste nach dem Bierglas und nehme einen dicken Schluck.  Lebe immer noch  in der Geschichte, so sehr, dass ich nicht einmal registriere, dass das Bier keines mehr ist, sondern eine pisswarme, eigentlich untrinkbare Brühe. Nach einigen Minuten der Euphorie  komme ich langsam wieder auf den Boden. Meine Augen sind auch wieder okay, kann wieder klar sehen. Ich lasse meinen Blick über die Szenerie schweifen, sehe mir das Publikum genauer an. 


 Die üblichen Verdächtigen, wenn ich in meiner Heimatstadt lese. Sparsam erschienene Freunde, klar, kennen meine Geschichten auswendig, dafür jede Menge flüchtige Bekannte, die mir  auf die Schulter klopfen und dabei peinlich genau darauf achten, von möglichst vielen gesehen zu werden, um als „guter Freund“ eines Schriftstellers zu gelten. Sind mir übrigens die liebsten, flüchtige Kneipenbekanntschaften, die wahrscheinlich seit ihrer Schulzeit kein Buch mehr angefasst haben. Dann die   Pseudointellektuellen mit ihren  obligatorischen, am Hals baumelnden schwarzen, rechteckigen Brillen. Sehe sie gestenreich diskutieren.   Natürlich sind auch die unvermeidlichen Ü-fünfzig Damen anwesend, die sich angeblich für junge Großstadtliteratur interessieren, was immer das auch sein mag, ich  jedenfalls weiß ich es  nicht. Und, ausnahmsweise auch einiges Jungvolk, darunter sogar  hübsche  Frauen. Literatur ist offensichtlich  nicht in, im Gegensatz zu Blade-Nights, Play Stations, Nordic Walking, Komasaufen und was noch alles, wobei ich Anhänger des Letzteren noch am ehesten verstehe.  Und noch eine Ausnahme. Junge, nicht sonderlich sympathisch wirkende Anzugträger, BWL- oder Jura-Studenten, vielleicht Jung-Banker, so was in der Richtung. Allerdings verlassen die fünf Kameraden schon nach ein paar Seiten der „Geschichten vom täglichen Sterben“ flotten Schrittes das Café. Keine Ahnung, was die Schnösel erwartet hatten, ist mir auch egal. Vielleicht sollte ich anregen, zukünftig auf den Plakaten einen Sticker mit der Aufschrift „Betreten auf eigene Gefahr, Eltern haften für ihre Kinder“ anbringen zu lassen.

Pause. Gehe an die Theke und hole mir ein Bier. Der Künstler säuft umsonst. Gut, raus auf die Straße, Rauchverbot natürlich, auch für den Schriftsteller keine Ausnahme. Ein paar hastige  Züge von der Zigarette, vom Bier ebenso. Stehe trotz der anderen Nikotinsüchtigen verloren da. Applaus hin oder her, ich will etwas anderes. Ich weiß zwar nicht genau, was, aber echt soll es sein, das wahre Leben vielleicht. Könnte  eine Geschichte daraus machen, aber genau das will ich eben nicht. Was ich aber definitiv will, ist endlich den Mut für die Flucht aus dem Elfenbeinturm. Ich habe unstillbaren Hunger nach Leben, Räuschen, egal, ob Drogen, Liebes- oder Sonstwas-Räuschen,  unkontrolliertem  Chaos, meinetwegen auch nach schrecklichen Dramen, sogar Sodom und Gomorra, wenn es sein muss, irgendwas, nur wirklich, wahrhaftig muss es sein, leben, pulsieren, krachen und scheppern muss es. Ich weiß ja nicht einmal, ob ein großer Unterschied zwischen Erfundenem oder Erlebtem besteht, aber, verdammt noch mal, ich will es herausfinden. Ich will nicht mehr um den Sumpf herumgehen, sondern mittendurch. Nur von Depressionen, wahren und garantiert echten, habe ich genug, habe mich daran überfressen. Kann sie leider nicht auskotzen wie ein Bulimiekranker sein Essen.  Natürlich habe ich  schon   einiges ausprobiert, Drogen zum Beispiel, Heroin. Wenn schon, denn schon, nur, ich suche  das wahre Leben, nicht den wahren Tod. Damals war ich  so dünn, dass ich vor lauter Gier auf Leben fast verhungert wäre. Heroin und feste Nahrung vertragen sich nicht besonders gut.


 Es geht weiter, d.h., es soll,  es ist noch zu unruhig für meinen Geschmack. Immer noch etwas aufgedreht  beschimpfe ich  das Publikum unflätigst wie Klaus Kinski höchstpersönlich. Und was passiert? Sie klatschen und johlen. Was für ein  Abend. Bin ich heute wirklich so gut oder wollen die einfach nur auf  Teufel komm’ raus ihren Spaß haben oder sich gar denselben mit mir zu machen?  Als es endlich ruhig ist, fahre ich fort. Eigentlich stand jetzt eine melancholische Geschichte mit dem Titel „Die Stimmen der Bettler“ auf dem Programm, ich entscheide mich aber spontan für „Ernste Spiele“, eine ironisch-blutige Story um einen Serienkiller (nein, nicht von Quentin Tarantino inspiriert). Um das Publikum etwas zu ängstigen, versuche ich, das ganze ohne einen Anflug von Ironie und Humor vorzutragen, verändere spontan ganze Textpassagen. Fühle mich trotz des morbiden Textes unheimlich lebendig. Wenn  dieses Gefühl nur anhalten würde. Habe die „Spiele“ zu Ende gelesen. Statt des von mir erhofften ungläubigen Schweigens klatschen und kreischen sie alle wieder. Na ja, fast alle, einige der Ü-fünfzig Damen sind merklich blass um die Nase geworden. Scheine im Moment tatsächlich im Leben angekommen zu sein, aber ein bis zwei Stunden alle heiligen Zeiten sind mir entschieden zu wenig, denn so eine aufgekratzte Stimmung ist   eher selten. Literatur hat eine ernste Sache zu sein, auf Lesungen brüllen und johlen? Shocking.  Hier und heute aber nicht, sie fordern sogar noch eine Zugabe. Ich wundere mich über nichts mehr. Blättere in den Manuskripten und entscheide mich für eine lakonische Story über eine Liebschaft zwischen einem abgewrackten  Junkie und einer verheirateten Frau. Vorher frage ich das Publikum, ob es wirklich noch etwas hören will. Es bejaht lautstark.

Der Wirt des Cafés eilt heran und fragt besorgt, ob das nun wirklich die letzte Geschichte sei. Er faselt etwas von Beschwerden der Nachbarn und obwohl es zwischenzeitlich wirklich etwas laut ist, bin ich überzeugt, dass er Angst hat, seine Gäste saufen nicht so viel, wenn jemand liest. Na ja, auf jeden Fall mehr Angst als vor den Nachbarn.

Etwa zehn Minuten später ist endgültig Schluss. Der Wirt verliert keine Zeit und nimmt eifrig Bestellungen entgegen. Ich möchte eigentlich raus aus dem Trubel, aber jetzt ist  noch signieren angesagt und wichtiger – einige Bücher verkaufen, denn auf Rosen bin ich wahrlich nicht gebettet. Glücklicherweise ist mein Verlag so kulant, mir solche Extratouren zu erlauben. Komme früher raus als erwartet, der Verkauf läuft eher schleppend. Schade. Spaß wollen sie, zahlen dafür nicht. Gut, die Lesung kostet sechs Euro Eintritt, aber das ist ja nicht die Welt,  reicht ja  nicht  einmal für zwei Päckchen Zigaretten.

Jetzt aber wirklich erst mal raus hier. Gehe eine Straße weiter, setze mich auf den Randstein und rauche in Ruhe eine. Langsam gehen meine Stimmung und mein Blutdruck gegen Normalnull. Ich raffe  mich auf. Auf zur Bebauchpinselung. Obwohl, es gibt Schlimmeres, lautstarke Unmutsäußerungen, Pfiffe und Buh-Rufe, alles schon erlebt. Kunstbanausen gibt’s überall. Jetzt aber lasse ich die Lobeshymnen à la

„Geil, so gut hab ich dich noch nie gesehen“ oder

„Toll gemacht“

über mich ergehen. Geht runter wie Öl. Jeder Künstler ist eitel, wer was anderes behauptet, lügt.

Es wird jetzt ruhiger, das Café leert sich langsam. Setze mich an die kleine Theke. Der Wirt gibt mir mit einem zufriedenen Lächeln meine Gage, ein Bier und stellt noch einen doppelten Wodka hin. Der Umsatz ist wohl nach seinen Vorstellungen, meiner auch, wie ich nach kurzem Überschlagen meiner Barschaft feststelle, habe offensichtlich doch mehr Bücher an den Mann gebracht als ich dachte, nämlich alle. Der schleppende Verkauf war offensichtlich eine Einbildung, kein Wunder bei dem Chaos. Aber Geld, nur Geld? Kaufen kann ich mir das Leben nicht. Ich schiele auf das Ende des Tresens, wo eine äußerst hübsche Frau sitzt, die mir schon  während der Lesung aufgefallen ist. So um die dreißig und scheinbar Single. Wenn nicht, dann interessiert sich ihr männliches Gegenstück hoffentlich für Fußball, Autos, Bodybuilding oder so `nen Kram, denn dann, so meine Überlegung, wäre ich als Künstler interessant. Ich arbeite  mich Barhocker für Barhocker und Bier für Bier  durch. Endlich neben ihr angekommen frage ich, wie ihr es gefallen hat.

„Na ja, ging so“

DIE Lesung meines Lebens und dann „ging so“. Tolle Aussichten.

Versuch 2.0

 Biete ihr einen Drink an, egal was, kostet ja nichts (ein dezenter Hinweis darauf, dass ICH der Star des Abends bin oder zumindest war).

Nein, sie trinke nicht, außerdem werde sie gleich von ihrem Freund abgeholt. Ich verfalle  in irres Gelächter und frage, ob er  Bodybuilder sei.  Verstört  blickend rennt sie kommentarlos  aus dem Lokal. Der Wirt hinter der Theke sieht mich fragend an, ich zucke unschuldig mit den Schultern.

War wohl nichts mit dem ersehnten Liebesrausch, dabei will ich keine zweiundvierzig Jungfrauen, eine würde mir reichen, und Jungfrau muss sie auch nicht sein.  Ich will mich ja nicht einreihen in den Verein,  der die Einsamkeit des Dichters beklagt, aber hat nicht jede noch so grottenschlechte Schülerband ihre Groupies? Literatur ist nicht sexy, so viel steht fest. Als ich auf die Toilette wanke, fällt mir auf,  dass ich der letzte verbliebene Gast  bin. Schwatze dem Wirt noch eine Flasche Rotwein ab, verabschiede mich, und schon stehe ich auf der Straße, unschlüssig und betrunken. Sehr betrunken. Was jetzt? Gehe ein paar Ecken weiter. Ich  setze mich wieder auf den Randstein. Sinniere vor mich hin, mache mich an der Weinflasche zu schaffen, als ein Geklapper meine Aufmerksamkeit erregt. Eine großgewachsene Frau  stöckelt näher.  Als sie im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung steht, erkennen wir einander. Eva, eine Kneipenbekanntschaft. Ihr Mann ist vor kurzem  einer Krebserkrankung erlegen (bei aller Pietät, der Typ war ein Arschloch, wie es im Buche steht). Bin über die unverhoffte Begegnung  überrascht, gleichzeitig freudig erregt.  Sie fragt, ein bisschen kokett, was ich hier so ganz einsam und allein  mache.  Erzähle ihr von der Lesung.

„Warum hab ich nichts davon gewusst?“

„Na ja, in der Kneipe warst du ja nicht so oft in letzter Zeit.“

„Du weißt ja…“

„Ja“

antworte ich kurz angebunden.

„Aber trotzdem ist das kein Grund, mir nichts zu sagen“

lächelt sie und packt mich spielerisch am Kragen. Hä? Soo gut befreundet sind wir nun auch wieder nicht  Nun, vielleicht ist  sie ja froh ihren geliebten Gatten los zu sein und fühlt sich jetzt befreit, zu tun und lassen, was sie will. Wundern würde mich das nicht, da er auch noch ein  ganzes Stückchen älter war als sie. Habe diese Liaison sowieso nie so recht verstanden, aber vielleicht war der Kerl reich, hatte eine Wagenladung Viagra gebunkert oder sonst irgendwelche verborgenen Talente. Keine Ahnung Wir klönen noch ein bisschen, bis mir ein Gedanke kommt. Ich schlage  vor, ihr eine exklusive Privatlesung zu geben.

„Hier, auf dem Bürgersteig?“

„Klar, why not?“

„Spinner“

sagt sie und lächelt schon wieder. Könnte doch noch was werden mit dieser verrückten Nacht.
Ich widme mich erneut der Weinflasche und  öffne sie nach bewährter Methode: Korken in die Flasche drücken. Bin nun mal nicht der Typ, der ständig ein Schweizer Armeemesser zur Hand hat. Eine Fontäne Rotwein landet auf meinen Klamotten. Egal.

Fange an, eine Geschichte zu lesen, die ich wahllos aus meinen Manuskripten ziehe. Lese aber fahrig, bin nicht bei der Sache. Wie auch, wenn  mich  Freund Alkohol daran hindert und  ich vor allem, spätestens nach jedem dritten Satz, auf ihre na ja, auf ihre Titten starren muss. Entgeht ihr  nicht. Ich verhasple mich andauernd, sie lacht ungezwungen. Überhaupt lacht und trinkt sie immer mehr. Ich ebenso. Lesen hab ich mittlerweile aufgegeben. Sie sieht glücklich aus, vielleicht ist das der erste Spaß nach dem Ableben ihres Gatten, könnte gut sein. Ich höre ein Auto, wahrlich nichts Besonderes in einer Großstadt, bis ich registriert habe, was für ein Wagen das ist. Schon stehen schon zwei Polizisten vor uns. Was wir da machen würden.

„Nach was sieht’s denn aus?“

lalle ich dem Bullen, durchaus freundlich, entgegen.

„Erst mal zeigen Sie mir Ihren Ausweis, und zwar dalli“.

Scheint keinen Humor zu haben, der gute Mann. Ich krame das Dokument aus meiner Geldbörse und halte es ihm hin, wankend.

 

Er geht zum Streifenwagen, um das Ding zu überprüfen. Der zweite, bisher stumm, mustert mich misstrauisch. Eva scheint er gar nicht zu beachten, obwohl sie einen viel reizenderen Anblick bietet als ich. Der Humorlose kommt zurück und gerade, als er mir meinen Ausweis zurückgeben will, kommt der andere auf die glorreiche Idee, mich meine Taschen leeren zu lassen. Komme dem ohne Diskussion nach, ich will sie endlich loswerden. Erst als der Cop triumphierend die  große Menge Kleingeld sieht, die ich hervorkrame, fällt mir auf, wie das aussehen muss. Ein Typ mit Weinflasche auf dem Randstein sitzend und  Unmengen Kleingeld in der Tasche.

Ich erzähle wahrheitsgemäß von der Lesung, und dass das eben das Eintrittsgeld sei. Als Eva das bestätigen will, wird sie barsch weggeschickt, sie solle nach hause gehen, man weiß ja als Frau nie, wem man nächtens so begegnet.  Dabei sieht er mich  hämisch grinsend an. Eva  sieht mir in die Augen und breitet verzeihend ihre Hände aus. Klar, sie hat recht, was soll sie  machen, wie soll sie mir helfen?

„Woher?“

Ich wiederhole meine Geschichte.

„Klären wir auf dem Revier“.

Na super, der Abend und dann das. Bin schlagartig nüchtern, aber  mir kommt der vielleicht rettende Einfall. Mit Engelszungen rede ich auf die Kameraden ein, auf dem Weg ins Revier doch bitte am Café vorbei zu fahren, vielleicht ist der Wirt noch im Lokal und kann meine Geschichte bestätigen. Widerwillig machen sie es. Sehe schon von weitem, dass es stockdunkel ist. Scheiße, doch als wir zu dritt davorstehen, fällt mir ein Stein vom Herzen. Die Plakate hängen noch. Überzeugt auch die Freunde und Helfer. Sie lassen mich gehen. Haarscharf war das. Einige Häuser weiter scheint noch ein Lokal geöffnet zu haben. Dort versuche ich meine Nüchternheit zu bekämpfen. Vergebens, der Schock sitzt tief, habe mich ja schon in der Zelle gesehen. Vom    wahren Leben habe ich heute genug, aber es war spannend, durchaus weitere Versuche wert. Am besten schon morgen. Spätestens aber übermorgen.