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Robin Weigel: Luke Stylewalker

„München moine Päale, du wunnerschöine Stadt!“ - Oh Gott, da haben alle aber böse geguckt... -„Du bist moin Zuhause, denn Hamburch hab ich satt!!“ - da war aber alles schnell wieder in Ordnung. Die allgemeine Entspannung ist deutlich hörbar am Knacken einzelner Gelenke und schrubbender Füßen auf dem Boden als sich die Partygemeinschaft wieder verhalten in Bewegung setzt. Vereinzelt Gelächter, einige Jungs grinsen mir zu, einer klopft mir sogar auf die Schulter, woraufhin ich mich hastig umdrehe. In seinem überraschten Gesicht erkenne ich, dass das nur gut gemeint war und ich grinse lässig-entschuldigend zurück. Boa... Watt’n Schreck. Bescheuert, wenn man so Disko-lautstark vor sich hinwitzeln will um dem Mädel was neben einem tanzt unauffällig imponieren zu wollen und sich ausgerechnet dann der bekloppte DJ beim Plattenwechsel in seiner Apparatur verheddert, so dass es für kurze Zeit nur peinliche Bewegungen gegeben hätte, wenn ich nicht gewesen wäre. Doch da ich da war und so überhaupt nichts Böses ahnte, wirkte es so als habe der tolle DJ mit exzellentem Gespür für Stimmungen nur eine Kunstpause eingelegt um mich bei jämmerlichem Anbaggerungsversuch Nr.7 vor allen Leuten bloßzustellen. Der Idiot. Die Musik setzt wieder ein. Ich suche Heil in der Flucht, lasse Anbaggerungsobjekt Nr.7 stehen und wühle mich durch die Menge Richtung Ausgang. Verstohlen werfe ich einen hoffnungslosen Blick zurück und sehe zu meiner Überraschung, dass sie mir hinterher schaut. Stolz lass nach, ich bin plötzlich einen Meter größer, bleibe stehen, will mich umdrehen und auf sie zutanzen, da fällt mir ein, dass das blöd aussehen würde wenn ich wie ein Hund wieder zurückgelaufen käme. Also dreh ich mich wieder um, will triumphierend abmarschieren, doch denke auf einmal ganz rational, dass sie ja vielleicht gleich gehen muss, ich verrenke meinen Körper um beides zu machen, raus aus dem Raum und zu ihr hin und drehe mich von einer Unentschlossenheit in die Andere. Leute fangen an zu glotzen, ich bin wieder n Meter kleiner und nehme meinen ganzen Mut zusammen um nochmal- doch sie ist weg-... und erleichtert bahne ich mir einen Umweg über das Pissoir nach draußen. Draußen steht Andi mit einem Bein lässig gegen die Wand gelehnt und kifft. Wir stehen in der angenehmen Frühsommernachtluft, die gerade allerdings ein bisschen nach Gras riecht, vor diesem Disko-Club da unten an der Isar. Also wenn man von der Museumsinsel kommend Richtung Gasteig fährt und nach der Brücke links den Fahrradweg runter geht, noch ein paar Meter weiter geradeaus die Kopfsteinpflasterstraße entlang und dann müsste man vor einem großen schwarzen Klotz stehen dessen Namen ich vergessen habe, wie einige der damit verbundenen Erinnerungen. -„Was gehdn ab oider, Torschusspanik?“ - Andi ist, wie ich auch, Schauspielstudent im 2. Semester und der einzige echte Münchener in unserem kleinen Jahrgang, bestehend aus fünf Mädels und Jungs mit Hang zu Gefühlsausbrüchen und übertriebener Sentimentalität. Sein bayerisches Hochdeutsch ist allerdings nur am scharfen „s“ an Stellen wo es nix zu suchen hat erkennbar, und an so Wörtern wie „Kina(statt China)“, „Kemie(statt Chemie)“, „Könik(statt Könich)“ und eben „Oider(statt ‚Alter Schwede’)“. Andi und ich machen manchmal zusammen schräge Musik die keiner hören will und sind beide ein „glückliches Mitglied der Lebensbewegung Studentenleben e.v.“, wie uns eine Professorin unserer Schule mit einem „Hach früher als ich jung und sexy war wie ihr“-Lächeln gerne betitelt, kurz: ’Glümile’ Doch weder gibt es diese Bewegung, noch führen wir, und alle Studenten die ich kenne, ein so glückliches und berauschtes Leben wie es unsere Professorin gehabt haben muss, aber egal. Denn heute war Premierenfeier. Und wie: Wir sind einem Fastnachtsumzug gleichend mit Bollerwagen voller Bier, Wein, Schnaps, Musikanlage und Chips, lärmend runter zum Friedensengel und dann Isar aufwärts gezogen und haben uns dort am hübschesten Plätzchen niedergelassen. Dort bei dem schwarzen Klotz, die Pflasterstraße weiter und dann geradeaus auf die Stein-Sandbank wo erfrischend und Bier kühlend die Isar entlang fließt. Volle fünf Stunden haben wir da abgefeiert, nach 3 Stunden war das Bier und nach 4 Stunden der Schnaps alle, Chips und 2 Flaschen billig-Wein sind glaube ich immer noch da und als es dann um Mitternacht rum n bisschen kühler wurde, hatten die meisten meiner betrunkenen Kollegen aus Angst vor Erkältung und Schnupfen den Rückzug angetreten. Meine verzweifelten Versuche, vor allem die Mädels noch zum weiterfeiern zu animieren(„Wasseidn ihfü Memm’ dass ihjez schon gehd?!!“ - „Alle die jez gehn stinken!“ - „Ohh, bleib doch, sons maddas ganse Lebm kein Spasss mehr, wennu gehsd… koomm, krichs auchn Kuss!!“) waren verschwendete Liebesmüh; Es blieben Andi, Philip, Kati und ich. Philip ist abgehauen als ich nicht aufgepasst hab, auf irgendsone Technoparty wie Andi meinte, aber wohl nur zu seinem Freund, der ihn vorhin am Telefon schon vollgesülzt hat das er(Philip) schnell kommen solle, es gehe ihm schlecht alleine und er wolle kuscheln. Kati ist von irgendwelchen dubiosen Dancefloors des schwarzen Klotzes verschlungen worden und tanzt sich jetzt wunde Füße zu Goa auf Ebene Zwei-3/4 und Andi steht immer noch draußen vorm Eingang und kifft. Dann kneift er mich plötzlich hart in den Arm-

„Hey was gehdab Junge, bist du noch am Start? Ich frag dich was oider!“

„…Hä!? … wasgehdaballer!? …Ja..äh… klar man, wasn los man?“

„Ja ich frag dich seit ner halben Stunde was und du starrst nur so paralysiert vor dich hin! Alles ok bei dir?!“

„Jo, jo…mir gehts gut man... -Achähm... Andi, was meintestn du vorher mit Torschusspanik?“

„Hm?…ahja… da war vorhin son Mädel und hat nach dir gefragt.“

„Nee, echt?… Und das Mädel war nicht zwei Meter groß, hatte n Bart und sah auch sonst aus wie deine Mutter...“

„Ah, Schmarrn oider. Des Madl mit den blonden Haaren, mit der du vorhin getanzt hast! Die kam hier vorbei und hat mich gefragt wie du heißt, wer du bist und so. Und dann meinte sie so ganz keck; ‚I geh jetzt allein an die Isar!’“

„Ahsoo. Na wenns so is, dann nix wie hin, ne?“

„Jap. Aber beeil dich! – Ach sag, hast du die Kati zufällig irgendwo gesehen?“

- Alles klar. Ich glaub, spätestens jetzt habe ich gecheckt, in welchen Busch der gute Andi gleich mal kriechen will. Wie unsere ganze Schule weiß, hat Andi schon 2 Wochen nachdem wir unser Studium begonnen hatten Kati prophezeit, dass er sie spätestens im 4. Studienjahr ehelichen werde und seitdem mit offensivem Charme und ungestümen Versuchen ihr Herz zu erobern nicht locker gelassen. Dann gab es mal eine graue Zeit, in der auch ich Kati um alles in der Welt heiraten wollte und ich war voller Schuldgefühle gegenüber Andi, bis ich es ihm schließlich gebeichtet habe, um zu meiner Überraschung zu hören, er habe inzwischen ne andere Braut im Visier und ich könne meinen Versuchen ihr n Ring umzuwerfen, freien Lauf lassen. Allerdings hieß Andis neue Braut auch Kati und hatte sich auch äußerlich gar nicht verändert und so wurde Kati gleich von zwei Seiten angebaggert, einmal ganz offiziell mit Genehmigung und einmal ganz dreist von unten durch die Hintertür. So etwas geht, anders als in manchem Eheleben, nie lange gut und zum Glück für die arme Kati ist das instabile Kabale + Liebe-Konstrukt, recht bald in sich zusammengestürzt, Andis Angrabungen im Untergrund wurden sichtbar und es gab einen fürchterlichen Streit. Natürlich haben wir beide das wie echte Kumpels, mit stundenlangen Monologen und nem Bier im Preysing-Garten verarbeitet und uns nach Sturm und Drang gegenseitig feierlich geschworen sie beide nicht mehr begehren zu wollen. Irgendwie war es damit kurze Zeit später auch vorbei für mich und ihr Foto verlor sich in den Untiefen meines Schreibtisches wie meine anderen Verflossenen auch und ward nie mehr gesehen, bzw. nur noch eine...joa....gute Freundin… Andi aber machte der Schwur weit mehr zu schaffen, doch da sein Gewissen schon immer das eines guten Politikers war, gab er nach dem Motto -Wenn keiner weiß das ich lüge, lüge ich auch nicht- weiterhin seinem Verlangen nach. Was mir inzwischen Wurst geworden war, war ihm immer noch ein Ding der Ehre, was mich, nachdem ich es bemerkt hatte, mal belustigte oder zum Verzweifeln brachte. Heute ärgert es mich nur, denn Andi versucht mich, offensichtlich und stümperhaft, an die Isar zu locken um mich dort, mit dem verklärten Gedanken meine Traumfrau zu finden, verlaufen zu lassen um ungefährdet in Katis Nähe zu gelangen. So ein hinterlistiger Arschf-...- Obwohl. Auf der anderen Seite weiß man ja nie wie das gerade so bei ihm ist mit der Wahrheit und die Vorstellung das das blonde Mädel mit dem Knackarsch tatsächlich an der Isar auf mich wartet…Schwachsinn!...hm… Watt nu?... ah! Hähä!... Genau:

-„Was, Kati? Ja die hab ich vorhin an der Garderobe gesehn, die hat da mit sonem Typen rumgemacht. Son Riese mit Glatze.“ - Und noch einen obendrauf: -„Komisch…irgendwie steht sie nur auf große Männer, kann das sein?“ - Andi ist nämlich nur eins siebzig. Hähä!

-„Ahso…“ - Für einen Augenblick wäre ihm fast die Kippe aus dem Mund gefallen… - Dann grinst er urplötzlich wieder sein schalkhaftes, selbst aufmunterndes Grinsen. -„Ja, geil! Is doch schön für sie! Da hat sie ja endlich mal einen gefunden!“ - Und wie als würde ihn das ganze amüsieren, setzt er hocherfreut hinzu: -„Hoffentlich bumst er sie mal so richtig durch das würde ihr echt gut tun!“ - Der Andi - Schauspieler durch und durch. -„Nee, ehrlich, das tut ihr gut. Dann wird sie viel offener… und durchlässiger!… untenrum, hehe.“ - Ich muss lachen. Nicht weil das so besonders witzig war was er da gesagt hat, sondern weil ich weiß das er da gerade probiert einen Weltuntergang schönzureden, irgendwie so bemitleidenswert der arme Andi, dass ich mich fast schon für mein Lachen schäme. -„Nee sorry alter, ich hab nurn Spaß gemacht. Vor ner halben Stunde wollte sie hoch in diesen Goa-Schuppen. Ich hab ihr gesagt, dass du hier draußen stehst, sie hat nämlich n paar Mal zu oft nach dir gefragt.“ - Letzteres ist zwar gelogen, aber das plötzliche kindliche Aufleuchten seiner Augen war Entschuldigung genug. Irgendetwas in ihm schien sichtbar Salti zu schlagen, dass er vor Verlegenheit schnell einen coolen Zug an seiner Kippe tun musste um diese zu überspielen, sich dabei jedoch verschluckte und seine ganze Coolness wieder in die kühle Luft hustete. Noch im Husten bedauerte er sie aufrichtig. -„Schade, ich hättes ihr echt gegönnt!“ - Und grinste hochzufrieden. -„Du, oider ich hab vorhin nicht gelogen, falls du des denkst. Dein blondes Madl hat vorhin echt gesagt, dass sie an die Isar geht.“

„Alles klar Digger, ich glaub dir schon. Guckma da kommt Kati. Ich lass euch beiden dennma alleine ne...“ - Mich trifft einer seiner wirklich ehrlichen dankbaren Blicke, dann sagt er: -„Wenn du’s nicht verkackst, wirste heut Nacht noch n richtiges Glümile!“

„Du auch man... Hey Kati!“ Und damit entschwinde ich in die Dunkelheit Richtung Isar. Ich rutsche den kleinen Erdhang hinter der Böschung runter. Ein 180 Grad-Scan sagt mir, dass kein blondes Sexbomben-Luder in der Nähe ist, auch keine normale Blondine, nicht mal eine Frau und genau genommen nicht mal eine Menschenseele. Nur Steine. Eigentlich liegen hier recht oft knutschende Pärchen herum, Andi hat mal erzählt, er hätte auf der Suche nach einem Feuerzeug welche beim Ficken erwischt, aber Andi labert viel, wenn- …gut, das wissen wir jetzt. Immer noch keiner da. Ich gehe zum Wasser. Die Isar plätschert an dieser Stelle so sanft vor sich hin, dass es heute im hellen Mondlicht so aussieht, als seinen Milliarden klitzekleiner Schiffchen mit silbernen Segeln unterwegs.

 „Na du Hamburger?“ - Eine warme, dunkle Frauenstimme erwischt mich eiskalt von hinten. Ich drehe mich um und kann nichts erkennen. Erst als sich meine Pupillen zu Fußbällen geweitet und an die Dunkelheit gewöhnt haben, die der Mondschatten der Bäume am Ufer wirft, kann ich eine zierliche Silhouette erkennen mit sonderbaren silbernen Streifen im Haar. Ich gebe mir beste Mühe meinen Schrecken zu verschauspielern und versuche mich zu fassen:

„Bin kein Hamburger, bin n Cheeseburger..“…- Kichern, dann Stille….

„Das war lustig was du gesungen hast, als der DJ ne Pause gemacht hat.“ - Sagt die Stimme aus dem Off.

„Danke…. Hätt mich fast mein Leben gekostet!“ - Wieder kichern. Ich kann immer noch nichts erkennen und irgendwie fühle ich mich eigenartig, denn diese Gestalt mit silbernen Streifen im Haar und offensichtlichem Hang zur Mystik lässt mich dastehen wie einen Schuljungen vor seiner selbst gemalten Elfe, die gerade lebendig geworden ist. -„Wer bistn du?“ - Die Elfe scheint ihre Wirkung auf mich sehr vergnüglich zu finden und probiert, ein Lachen zu unterdrücken, dass die Pointe ihrer Antwort versauen würde, wenn es nicht so entwaffnend niedlich wäre... -„Pfff - Ksch…Luke, ich bin dein Vater!“ -Noch ausgelasseneres Kichern. Dann wieder Stille. Die Isar plätschert weiter als wäre hier nie irgendetwas geschehen. -„Warum sagst du nix mehr?“ - Die Elfe lässt ein wenig gespielte Verärgerung hören. -„Weil…äh…ich…mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte, ohne dass du mich auf der Stelle verzauberst- “ -Noch bevor ich das letzte Wort ausgesprochen hatte, wusste ich wie bescheuert es klingt und trotzdem ist es unaufhaltsam rausgerutscht wie eine verräterische Zuckung. Sie sagt nichts mehr...auweia...ich Idiot! Dann schießt ein Pfeil glühender Ernsthaftigkeit aus dem Dunkel. -„Ich hab dich doch schon verzaubert.“ - Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Eine Ewigkeit vergeht so schnell dass sie schon vorbei ist, bevor mir die Worte passen, die auf meiner Zunge liegen. -„Ich…ähm...Wer bist du, verdammt?!“ -„Du weißt du genau wer ich bin!“ - Jetzt war ich komplett verwirrt. Wer redet da so mit mir? Das blonde Mädel mit dem Knackarsch? Weiß ich wer sie ist? Oder denkt sie, wir hätten uns beim tanzen schon so intim kennen gelernt, dass Floskeln wie Name erfragen völlig überflüssig sind!? Aber was mir außerdem unheimlich vorkommt, ist einer meiner Gedanken, der mir einreden will ihre Stimme schon mal gehört zu haben, irgendeine Erinnerung die schon längst verblasst ist...

„Komm mal her.“ …-äh, watt?... „Na los, komm, ich tu dir nix...“- Die verführerische Stimme aus der anderen Welt. -„Ja….ja…ich komme…ja…“ - Meine nur allzu diesseitige Antwort. Ich gehe vorsichtig, Schritt für Schritt auf das Dunkel zu, reiße meine Augen weit auf um noch mehr sehen zu können. Sie streckt mir ihre Hand entgegen und zieht mich sachte, gegen meinen zaghaften Widerstand, immer näher und näher und schließlich so nahe, dass ich ihren Atem auf meiner Haut spüren kann. Ich kann ihr Gesicht immer noch nicht richtig erkennen, dieser Duft… Sie nimmt meine Arme und schließt sie hinter ihrem Rücken, so dass ich sie umarme. Nach einer kurzen Pause kommt sie noch näher und schmiegt sich an mich. Ich spüre ihren ganzen, warmen Körper, instinktiv drücke ich sie noch fester, sie ist vollkommen ruhig und ich zittere.

Dann seufzt sie leicht und sagt: „Luke, ich hab mich entschieden.“

„… what…“ - mein Kopf explodiert wie der Himmel am Tag des jüngsten Gerichts, Engelsschwärme umkreisen mich, Fanfaren, Jubellieder, Choräle, meine Seele entschwebt goldglänzend dem Körper, hoch empor, dort steht auf diamantenen Wolken ein güldener Thron und eine Königin lächelt mir zu – Kati.