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Andreas Kurz: Grünwald

Ich suchte das Klo. In diesen Angebervillen mit ihren hundert Türen kann das manchmal dauern. Hinter einer Tür, in der ein Schlüssel steckte, führte eine Treppe in den Keller. Wütend wollte ich sie wieder schließen, doch ein fremdartiges Geräusch weckte meine Neugierde. Es summte sehr hell und intensiv, aber das war keine Waschmaschine oder der Tiefkühlschrank, das war etwas ganz anderes. Neugierig geworden ging die Treppe runter. So stand ich plötzlich vor dem Kasten und obwohl ich so ein schwarzglänzendes Ding noch niemals in echt gesehen hatte, wusste ich sofort, was es war. Eine Nirwana 3.0 mit Turbokühlung. Solche Dinger sah man sonst höchstens mal in ner Illustrierten. Sie kosten mehr als ein Vermögen, es sind hochkomplexe Einzelanfertigungen, die auf die individuellen Vorlieben ihres Besitzers maßgeschneidert werden. Der Raum war sehr stickig, obwohl mächtige, silbrig glänzende Kühlrohre für Durchzug sorgten. Ehrfürchtig legte ich meine Hand auf die äußere Chromblende. Eine sehr starke Vibration übertrug sich auf mich, Wärme flutete durch den Arm in meinen Körper, es kribbelte wie tausend fleißige Ameisen. Ich fühlte Rührung in mir, tiefe Ergriffenheit, der Anblick dieser Maschine war überwältigend. Auf dem bläulich leuchtenden Monitor an seiner Rückseite schimmerten die Grundeinstellungen und gewählten Parameter. Ein Name leuchtete hervor, Söderbohm. Der ganze Apparat widmete all seine gewaltigen Terawatt einzig und allein dieser Sippschaft.

Als ich wieder raus in den Garten kam, tanzte meine Frau gerade mit Kraftvogel vom Controlling. Ihrem leeren Grinsen nach zu schließen, hatte sie schon ziemlich einen sitzen.

„Muss dir was sagen“, raunzte ich ihr zu.

„Kann das nicht warten?“

Ich schüttelte den Kopf und ließ mir von einem dieser livrierten Sackgesichter vom Partyservice ein Bier geben. Damit setzte ich mich abseits auf eine Bank. Anders als sie, fühlte ich mich hier nicht wohl.

„Himmel, was ist denn schon wieder?“, fuhr sie mich an, als sie es in ihren hochhackigen Schuhen endlich zu mir geschafft hatte, ohne hinzufallen.

„Hab gerade was entdeckt“, tat ich geheimnisvoll.

Sie ließ sich neben mich auf die Bank fallen, schüttelte sich die Schuhe von den Füßen und massierte sich die Fußsohlen.

„Und was? Den Porsche in der Garage?“

„Ich weiß jetzt, wie Söderbohm es macht.“

Söderbohm war unser Chef und wir saßen in seinem königlichen Protzgarten am Isarhochufer in Grünwald auf dem jährlichen Mitarbeiterfest.

„Was macht?“, fauchte sie mich an.

„Dass er so gut ankommt. Dass ihn alle lieben. Dass ihm alles gelingt im Leben und ihm alle Sympathien zufliegen.“

Tinchen verkniff den Mund, als würde sie sich vor was ekeln. „Dein Neid wird dich noch mal auffressen, wirst sehen.“

„Ich bin nicht neidig, das ist es nicht.“

„Natürlich nicht ...“ Sie tätschelte mitleidig meinen Arm. „Ich geh wieder tanzen.“

„Warte doch mal, das ist nicht nur Gerede jetzt ...“

Ich hielt sie am Handgelenk fest, und sie riss sich los. Mit dem Finger deutete sie auf mich.

„Söderbohm ist der tollste Chef, den wir uns nur wünschen können. Das lass ich mir von dir nicht kaputt reden.“

Die Schuhe in der Hand stapfte sie zurück zu den anderen.

Irgendein Frust überkam mich und legte sich schwer auf meine Gesichtszüge. Die Belegschaft der halben Firma hampelte herum und die meisten versuchten, ein paar Punkte gutzumachen. Keiner schien Probleme damit zu haben, dass unser Chef in einem Palast lebte, der auch gut zu Ludwig dem Vierzehnten gepasst hätte. Alle lachten, als wären sie hier auf einem Wettgrins-Wettbewerb. Meine Frau winkte mir, aber ich rührte mich nicht von der Stelle.

Der Abend dämmerte bereits, als die Musik plötzlich stoppte und der Juniorchef mit irgend so einem Langbein an der Hand auf die Bühne stolperte. Er stotterte unbeholfen ein paar Sätze ins Mikro, die sogar ich noch besser hingekriegt hätte. Soweit ich es verstand, gab er seine Verlobung bekannt. Die Frau neben ihm war so schön, so perfekt, so nicht von dieser Welt, dass ich kotzen wollte. Sein Vater, also unser Chef, ein kleiner, kantiger Glatzkopf, kam jetzt auch nach vorne und hielt gerührt eine launige Ansprache, die vor allem das Wort Schneckerle wiederholte, der Kosename seiner von ihm so rasend geliebten Frau. Der Optik nach war die auch nicht viel älter als die Tussi seines Sohnes und mit Sicherheit nicht die leibliche Mutter. Alle klatschten stürmischen Applaus, immer wieder, wie Alzheimer-Patienten, die den Anlass sofort vergaßen. Ich kippte währenddessen an der Bar auf der Terrasse ein paar Schnäpse runter. Wolfarth, mein Abteilungsleiter, setzte sich neben mich und legte seinen dünnen Arm um meine Schulter. Er war so verschlagen wie ein Skorpion. Und genauso hässlich.

„Furthmüller“, sagte er mit schwerer Zunge und sein Zigarreatem schlug mir heftig auf den Magen. „Fursss … müller ... in was für einer tollen Firma dürfen wir nur arbeiten. In der heutigen Zeit ...“

„Ja, ja“, leierte ich.

„Futtz … müller, ich glaube, wir haben den besten Chef aller Zeiten ... den allerbesten, weisss … du das.“

 „Wolfarth“, sagte ich und sah ihm tief in die Augen dabei, „wer betet eigentlich für dich?“

Er glotzte mich an. „Was … was für ne scheisss … Frage is’n das jetzt?“

Ich reckte stolz den Kopf. „Wer ringt um deine Seele, Wolfarth, wenn du die Verlobte vom Junior anstarrst und dir denkst, Grundgütiger, zwischen diese genialen Schenkel würde ich auch gern mal meinen Kopf stecken.“

Er versetzte mir einen laschen Schlag gegen die Brust. „He, du Sack! Pass bloß auf, wen du vor dir hast ...“

„Was ist los, Wolfarth?“, schnauzte ich ihn an. „Keine Angst, dass dein mickeriges Online Betprogramm zuhause nicht längst wieder abgestürzt ist?“

„Meiner Seele geht’s blendend“, fuhr er mich an.

Ich lächelte sehr matt.

Auf der Bühne gab es mittlerweile nicht enden wollende Dankadressen irgendwelcher subalterner Schleimscheisser und devoter Pissnelken. Unser aller Chef stand milde lächelnd daneben und vertiefte sich ganz in seiner Paraderolle des Bescheidenen. Er machte es wirklich gut. Ihn nicht ins Herz zu schließen, war fast unmöglich. Auch ich konnte mich seinem Charisma und seiner Ausstrahlung kaum entziehen, die Energiefelder waren einfach zu stark. Ich musste ihn nur ansehen und spürte sofort das warme, angenehme Gefühl in meinem Inneren aufsteigen, als wäre dieser Mann weit mehr als nur ein egoistischer Chef in einem teuren Büro, als würde ich mich durch ihn einem Geheimnis nähern, der Mitte der Welt oder was auch immer. Irgendwie liebte ich diesen Mann, blieb mir gar nichts anderes übrig, obwohl ich sein Geheimnis ja jetzt kannte. Plötzlich riefen mich irgendwelche Torfnasen auf die Bühne, und ich wusste erst nicht, wie mir geschah.

„Dir zeig ich’s noch“, knarzte mir Wolfarth hinterher, als ich über den Rasen zur Bühne eilte. Nach einem sehr dünnen Applaus, der vor allem von meiner Frau erzeugt wurde, erzählten sie noch einmal die Geschichte von dem Brand im Lager, den ich ganz allein gelöscht hatte. Sie vergaßen auch nicht, noch extra darauf hinzuweisen, dass ich mir damit den Zutritt zu dieser Party und zu ihrem erlauchten Kreis verdient hatte. Ich zog dazu das erwartete Jawohl-Herr-Direktor-Gesicht. Was sie nicht erwähnten war, dass die Betriebsfeuerwehr erst ein Starthilfekabel für den museumsreifen Opel Blitz suchen musste, bevor sie mal in die Gänge kamen. Zwei Feuerlöscher mucksten sich nicht, aus den Schläuchen bröselte nur Rost. Mit dem dritten ging es dann so halbwegs. Das Feuer war auch nicht sehr groß gewesen, ein paar Flammen, viel Gestank. Sie schenkten mir einen Reisegutschein für eine zweitägige Busfahrt zu den schönsten Barockkirchen des Allgäus. Komplett mit einer Verkaufsveranstaltung dazwischen. Da stiegen mir die Tränen in die Augen vor Rührung und noch ein paar anderen Gefühlen.

Ich holte mir ein weiteres Bier vom Fass und verzog mich wieder auf meine Bank. Meine Frau schwang das Tanzbein und Kraftvogel hüpfte vor ihr herum, als wäre er nicht ganz dicht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er scharf auf Tinchen sein sollte, trotzdem hasste ich auch ihn. Meinem schlechten Gefühl nach zu schließen, war wieder irgendwas mit unserer Kultstätte zuhause. Sie taugte nicht viel, und wenn meine Frau und ich abends mal weg waren, konnte es passieren, dass unser Ältester irgend ne dämliche Schlampe mitbrachte und uns alle vorher vom Display löschte. So kriegte er die ganze gute Energie alleine ab und rechnete sich mehr Chancen bei der Kleinen aus. Als ich ihn mal dabei erwischt hatte, war es ihm noch nicht mal peinlich. Wir jungen Seelen hätten’s viel nötiger, dass für uns gebetet würde, meinte er nur, bevor ich ihm eine scheuerte.

 

Vor Jahren hatten wir uns das letzte Mal in die Kultstättenabteilung irgendeines Elektrogroßmarktes verirrt. Auch nur wegen den ewigen Wertedebatten im Fernsehen, die gerade mal wieder groß in Mode waren. Wir überlegten damals wie so viele andere auch, unsere gute, alte, abgenudelte Lord 1.0 gegen etwas besseres zu tauschen. Die Lord wurde noch nicht in China zusammengeschustert, sondern noch im guten, alten Polen. Der Kasten betete den ganzen Tag vor sich hin, und keiner von uns beachtete es groß. Das Wohlgefühl, von dem wir am Anfang immer glaubten, ergriffen zu sein, hielten wir bald für normal.

Wie oft hängte sie sich auf, verhaspelte sich in irgendwelchen Psalmen und musste neu gestartet werden. Sie konnte gerade mal das Vaterunser, das Ave Maria und ein paar verzopfte Fürbitten, die keiner kapierte, und die wahrscheinlich nur zum Programm gehörten, weil sie rechtefrei zu haben gewesen waren.

Auf irgendeiner InterBet ließ ich mir dann ein Vorführmodell aufschwatzen, nur weil ich’s toll fand, dass das Ding innerhalb von dreißig Sekunden eine komplette Hinwendung nach Euronorm 17 schaffte, was damals als außergewöhnlich gut galt. Selbst wenn wir beide Kästen gleichzeitig laufen ließen, änderte sich eigentlich nicht viel in unserem Leben, das Ablassvolumen war unter dem Strich einfach viel zu gering. Freunde hatten mittlerweile Power-Pray-Machines, grau importiert, noch ohne deutsche Zulassung, bei denen man statt Gott auch Buddha, Guru oder Geistwesen wählen kann, den Ritus bestimmen, die Himmelsrichtung der Hinwendung und was weiß ich noch alles. Unsere Stromrechnung war auch so schon utopisch genug.

 

Irgendwie war es klar, dass ich noch einmal in den Keller schlich. Es ließ mich einfach nicht los. Wir alle liebten unseren Chef. Trotz der Schließung und Verlagerung von Werken, der Schikanen gegen die Betriebsräte, der weit untertariflichen Bezahlung und der vielen Leiharbeiter, die sie jeden Morgen vor das Werkstor karrten und uns sagten, da seht ihr mal. Egal, wir liebten ihn. Das ließ mir einfach keine Ruhe.

Auf dem Monitor zuckten Balkendiagramme auf und nieder. Ich loggte mich ein ins Steuerungssystem, als Password gab ich Schneckerle ein und wunderte mich nicht mal, dass es sofort funktionierte. Dann markierte ich die ganze Mischpoke und löschte ihn und seine Familie. Ich wollte alles für mich, die ganze gute Energie. Zuletzt schob ich noch die Regler auf maximalen Anschlag. Ich hörte das Ding hinter mir brummen wie eine gewaltige Schiffsturbine, als ich die Treppe hochstieg. Den Schlüssel zur Kellertür warf ich im Salon in den kalten Kamin. Zurück im Garten, fühlte ich mich richtig gut. Keine Ahnung, ob das schon die Wirkung des Kastens war, der jetzt aus allen Rohren für mich betete, unmöglich war es nicht. Ich lächelte gleich mal Elvira Scherzmüller vom Marketing an und wagte ein Tänzchen mit ihr.

„Du hast etwas Magisches“, flüsterte sie mir lüstern ins Ohr.

Das ging mir dann doch zu schnell, ich parkte sie bei Wolfarth, der sich weinend bei mir entschuldigte und gar nicht verstehen konnte, warum er vorhin so unfreundlich zu mir gewesen war. Ich vergab ihm, indem ich meine Finger in ein Weinglas tunkte und auf seine Stirn drückte.

Eine Gruppe junger, aufstrebender Kollegen nahm mich in ihre Mitte, reichten mir was zu trinken, klopften mir auf die Schultern und wollten meine Hand schütteln. Ich sei ein Held, meinte einer, und die anderen stimmten ihm lautstark zu. Mir wurde es unheimlich und ich versuchte wegzukommen, aber schnell bildete sich eine ganze Traube hinter mir, die mich verfolgte wie Jünger ihren Messias. Als die Musik plötzlich abbrach und mich der Chef noch einmal auf die Bühne rief, geriet ich fast in Panik. Tosender Applaus brandete auf, Hochrufe und immer wieder mein Name, frenetisch. Mein Chef meinte zerknirscht, das vorhin sei nur ein Spaß gewesen, eine Busfahrt, läppisch. Leider hätte keiner diesen Scherz verstanden. In Wirklichkeit stehe mir ab sofort ein eigener Dienstwagen zu, ein nettes Büro mit Kaffeeautomat und befördert wäre ich auch. Er umarmte mich und sein aufgedonnertes Schneckerle küsste mich auf beide Wangen. Ein Glück, dass wir Sie haben, summte sie mir ins Ohr als wäre sie bei der Telefonseelsorge.

Langsam begann mir die Party Spaß zu machen. Die Regler standen auf Maximum und bügelten alles nieder. Ich trank Champagner, tanzte sogar, und die Band spielte Abba, In The Rich Man’s World.

 

Es war schon zu vorgerückter Stunde. Ich sah unseren Chef allein am Rande stehen, ein alter, krank wirkender Mann mit hängenden Schultern, einsam und ratlos. Ich ging zu ihm und munterte ihn auf, indem ich ihm die Wange tätschelte wie einem Kind. Er jammerte, es ginge ihm leider nicht so gut wie noch am Nachmittag, er wisse gar nicht warum, aber plötzlich sei es über ihn gekommen, dieses andere Gefühl, an dass er sich kaum mehr erinnern konnte, wie die Rückkehr einer längst überwunden geglaubten Krankheit, zum Verzweifeln. Ich spielte den Ratlosen und riet ihm, ein Aspirin zu nehmen. Dankbar und mit Tränen der Rührung in den Augen drückte er meine Hand, rief dann mit brüchiger Stimme nach seiner Frau und wollte, dass sie ihn begleitet. Doch ihr Gesichtsausdruck war kalt. Wortlos schupste sie ihn fort in Richtung des Hauses.

Da tauchte die Zukünftige vom Junior auf. Es war klar, dass sie in ihrem hübschen Kopf längst an der Verlobung zweifelte. Im Plaudern entfernten wir uns immer mehr von den anderen. Als Rauch aus der schicken Villa quoll, drängte sie mich in den Gartenpavillon, doch mitten im Kuss veränderte sich ihr Blick. Wahrscheinlich hatte es im Keller einen Kurzschluss gegeben. Sie schreckte hoch, sah mich an wie ein Schlossgespenst und rannte tränenaufgelöst davon. Da brannte das Haus bereits lichterloh, ich hätte die Regler nicht auf volle Pulle stellen dürfen. Ich schnappte mir mein Tinchen, die ziemlich sauer auf mich war und mit der Linie 25 schlingerten wir heim zum Max-Weber-Platz.

 

Mein eigenes Büro bekam ich natürlich nicht. Auch der Firmenwagen wurde mir ohne Begründung gestrichen. Ich blieb der Niemand in der Lagerverwaltung und machte meinen Job wie immer. Dabei konnte ich noch froh sein, dass alles verbrannt war und keiner rauskriegte, dass ich in diesem Keller war. Jetzt kauf ich in meiner Freizeit alte Betmaschinen zusammen und stell die in meinen Hobbykeller. Ich hab da so einen Plan, dass man die doch zusammenschalten können müsste, in Reihe, Kilobyte für Kilobyte. Ich kam von der Vorstellung nicht mehr los, dass da irgendwo für mich gebetet wird. Und zwar so, wie ich es mal kurz erleben durfte. Volle Pulle. Und pfeif auf den Strom. Ich glaube, man kann richtig süchtig danach werden.

 

Und, ach ja, bevor ich es vergesse. Sparen Sie sich die Barockkirchen des Allgäus. Schön sind sie zwar schon, keine Frage, aber ihre Betleistung … einfach lächerlich.