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Mario Krüger: Stupsnase

Ich wähle ihre Nummer, höre den Anrufbeantworter, ihre Stimme und hänge ein: es gibt nichts mitzuteilen.

 

Stupsnase schlägt mir gegen die Brust, es ist ein harter Schlag und meine Brust vom vielen Schlagen blau, schon blutunterlaufen.

Menschen fluten vorbei. Meine Schritte sind kraftvoll, leicht, fast so, als flöge ich. Ich achte peinlich darauf, nur dann auszuweichen, wenn auch die mir entgegenkommenden Personen ausweichen - Zusammenstoss -, Schulter gegen Schulter, ein Blick, ein Fluch, der Stinkefinger. Ich sehe mich im Spiegel eines Herrenausstatters und finde mich ganz gut. Ich bleibe stehen, gehe zurück und schaue nochmals in den Spiegel. Ich bin hässlich, die Natur hat es nicht gut mit mir gemeint. Mein Kopf eine Rübe, meine Nase deformiert und alles in abscheulichen Proportionen. Ein hässlicher Mund, die Beine zu kurz, unreine Haut, aber heute finde ich mich gut. Die Augen der Passanten ruhen für eine Zehntelsekunde auf mir, weil ich so hässlich bin. Immer muss ich den Huren einen Aufschlag zahlen, damit sie es mit mir tun, aber ich bin trainiert, so schnell haut mich keiner um und heute schon gar nicht. Adrenalin rauscht durch meinen Körper - Ausnahmezustand. Stupsnase schlägt mir gegen die Brust, Stupsnase ist hart, ich spüre sie. Vielleicht hole ich jemanden vom Fahrrad, jemanden, der mich ignoriert und denkt, mit seinem Zweirad ist er der Stärkere. Ich werde ihn von der Seite anspringen, so dass er vielleicht in die Auslage eines Kramladens fällt, sich die Zähne einschlägt, blutet. Ich werde seine Angst genießen, oder ihre Angst, denn ich bin für Gleichberechtigung, ihre aufgerissenen Augen, ihr Wimmern, dass ich ihr nichts tun soll. „Es war doch nur ein Versehen und wird nicht wieder vorkommen, schluchz, schluchz, bitte lassen Sie mich gehen.“ „Das kann ja jeder sagen“ und: „wo kommen wir denn da hin?“ Ich werde den Hahn spannen, ich werde den Hahn spannen müssen und dass mir das jetzt mehr weh tut als Dir, werde ich sagen, aber Strafe muss sein. Je schöner eine Frau ist, umso mehr verachte ich sie!

 

Piff, Piff, Piff, ich feuere eine Salve ab. Die Hand zur Faust geballt, ziele ich auf die Frau vor mir. Ich missachte, verachte, ignoriere. Stupsnase schlägt mir zärtlich gegen die Brust, noch halte ich sie im Verborgenen. Ich bin hässlich. Ich mag die Unsicheren, die Schüchternen. Die vor mir, die mit den Stilettos, dem schönen aber harten Mund, den versteinerten Zügen, dem eingefrorenen Karriereblick, bei der hab ich keine Chance, die hatte schon mal was Besseres, muss aber schon lange her sein.

Piff, Piff, Piff, ich schlage ihr einfach die Beine weg, hole sie von den Absätzen. Dann ein Anzug-, Vertreter-, Autoverkäufertyp, ich ziele mit Faust und Zeigefinger auf ihn. Piff, Piff, Piff – feuere ich eine Salve ab. Der Typ stürzt sich auf mich und rammt mir den Ellbogen in die Flanke, verpasst mir einen Haken. Ich gehe zu Boden und schmecke Blut. Er verpasst mir noch einen Tritt, lässt von mir ab und hilft der Frau wieder auf die Stilettos - jetzt kann er den Retter spielen. Sie hat sich das Knie lädiert und wirft mir einen verächtlichen Blick zu. Der Tritt hat gesessen, doch ich beiße die Zähne zusammen, so wie Jerry Cotton in der gleichnamigen Romanserie. Als ich zehn, zwölf war, verschlang ich die Romane und wahrscheinlich bin ich immer noch Fan von ihnen. Wenigstens ein Dutzend Mal wurde Cottons Jaguar von einer Maschinengewehrsalve zersiebt. Er aber sprang aus dem  Wagen, zog seine 38iger Browning und schoss den Gangstern zwischen die Augen.

 

Piff, Piff, Piff, ich feuere eine weitere Salve auf den Vertretertyp. „Verpiss dich bloß“, sagt er, nachdem er mich endlich bemerkt hat. Er sieht nicht schlecht aus, auf jeden Fall besser als ich, aber dazu gehört auch nicht viel. Die Haare zu einem Zopf geflochten, Dreitagebart, circa fünfunddreißig. „Verpiss dich“, hat er gesagt? Hat er das wirklich gesagt? Ich ziehe Stupsnase, spanne den Hahn und gebe einen Schuss auf seine Kniescheibe ab, er ist ja kein schlechter Typ und wird es überleben. Er ist ein kleiner Held und noch in dreißig, vierzig Jahren wird er von mir erzählen, dem kleinen hässlichen Perversen – ich möchte gern in seiner Erinnerung bleiben. „Auf den Boden“, brülle ich die Businesslady an und gebe einen Warnschuss ab. Ich will, dass sie wimmert und um Gnade fleht. Die Stadt ist voll von aufreizenden Bewegungen, siegessicheren Augen, gewonnenen Rosenkriegen, ihr lasziver Gang, die Selbstsicherheit, mit der sie sich bewegt, sie bleibt vor keinem Spiegel stehen und denkt: ich bin hässlich. Sie erntet bewundernde Blicke: Piff, Piff, Piff bekommt sie eine Salve.

Doch ich muss zur Seite, Platz machen, denn fast werde ich von einem Radfahrer über den Haufen gefahren. Ich schicke ihm einen Fluch und eine Kugel hinterher. Die Kugel verfehlt ihr Ziel und schlägt irgendwo ein. Mist, ich habe die beiden aus den Augen verloren, der verdammte Radfahrer hat mich rausgebracht. Ich muss mich beeilen, wenn ich sie noch erwischen will.

Ich gehe in einen Imbiss und kaufe mir eine Apfelschorle. Ich trinke hastig und blättere in der Abendzeitung:

Wieso fickt der Muselmann die deutschen Frauen und wir, wir hässlichen Deutschen gehen leer aus? Was denken die Frauen von den hässlichen deutschen Männern? Sind wir wirklich solche Schlappschwänze, dass die Ausländer uns die Frauen wegnehmen dürfen? Ist eine unreine picklige Haut, eine zu große Nase, ein verwachsener Körper Grund genug, nicht mehr mit uns zu ficken? Hässlicher deutscher Mann, sprühe ich auf jede Wand, wann gehört den hässlichen Männern dieses Land?

 

Ich zahle und gehe. Stupsnase macht sich bemerkbar. Ich fahre unter mein Sakko und streichle sie ein wenig, ich trage keinen Halfter, einen Halfter finde ich albern, nein, ich habe sie einfach in die Innentasche gesteckt, so kann ich sie besser spüren. Ich berühre ihren Hahn. Ich spüre sie, bei jedem Schritt, bei jedem Tritt.

Stupsi zieht ein wenig nach links, ich habe sie aus dem Waffenschrank meines Vaters. Auf eine Entfernung von zehn Metern muss ich ein bisschen rechts vorhalten. Er weiß nichts davon, denn er kann das Bett nicht mehr verlassen. Als ich sie zum erstenmal in der Hand hielt, vor ein paar Jahren, ließ ich sie aus Unachtsamkeit fallen und seitdem zieht sie ein bisschen nach links. Auf eine Entfernung von zehn Metern muss ich „ein gestrichen Korn“ vorhalten. Sie ist so wie ich, auch ich liege immer ein bisschen daneben, hm.

 

Ich versuche die Linien zwischen den Gehwegplatten nicht zu berühren.

 

Ich laufe durch die Sendlinger Straße, über den Odeonsplatz und biege in die Leopold Straße. An der Münchner Freiheit trinke ich einen Kaffee und betrete in der Haimhauserstraße einen Buchladen. Ich sehe mich um, eine Verkäuferin fragt mich nach meinen Wünschen. Ich weiß nicht, antworte ich, ich wollte mich nur umsehen, ich war noch nie in einer Buchhandlung, sage ich und frage, ob sie einen Kaffee mit mir trinken möchte? Sie lächelt freundlich und zeigt auf eine Palette mit Büchern die sie noch auspacken muss. Stimmt das wirklich, frage ich, dass jedes Jahr zweitausend neue Bücher erscheinen? Wenigstens, antwortet sie.

Wenigstens, wiederhole ich abschätzend und sage, dass ich die ganze Palette kaufe, denn dann hätte sie Zeit und könne mit mir eine Tasse ..., doch sie lacht nur, lacht sie mich aus? Sie denkt wohl das ich nur Spaß mache?

Ich ziehe meine Kreditkarte und lege sie auf den Pult an der Kasse. Was habe ich schon zu verlieren, denke ich. Ich werde die Rechnung nicht begleichen, denn es ist sowieso zu spät. „Ich würde nur gern eine Tasse Kaffee mit Ihnen trinken“, sage ich. „Vielleicht im Seehaus im Englischen Garten. Ich schaue gern beim Kaffeetrinken aufs Wasser“, sage ich. Selbst wenn ich den ganzen Laden kaufen würde, könne sie mit mir nicht Kaffee trinken gehen, denn sie hat einen Freund.  

 

Ich gehe bis zum Seehaus, betrete das Lokal, laufe zurück und trinke bei Mc Donalds in der Feilitzschstraße eine heiße Schokolade. Ich zähle die Männer, die den Puff vis-a-vis betreten.

Es war ihr Geruch. Es war ihr Geruch, der mich wahnsinnig machte, aber was kann ein Mensch für seinen Geruch? Was kann ich dafür, dass ich hässlich bin? Ich habe ihr Blumen geschenkt, Rosen, Konfekt, meine Zuneigung, ich wollte mir einen Job suchen, dass ich sie unterstützen kann und sie ihr verdammtes Studium schafft, doch sie hat sich nur über mich lustig gemacht, einfach so. Vielleicht wollte sie mal mit einem Hässlichen vögeln, das kannte sie noch nicht. Nein, ich bin nicht gerecht: sie kann nichts für ihren Geruch und sie kann auch nichts dafür, dass ich sie erschieße.

 

Aus einem offen stehenden Fenster höre ich es scheppern, dass Mia den Krieg hasst und das Leben liebt – ich bin in die Mandlstraße eingebogen. Ich bleibe stehen, höre zu und beobachte wie ein Herr seinen Jaguar einparkt. Ich befühle Stupsis Stahl und überlege, ob ich dem Herren ein würdiges Ende bereiten soll. Die Sonne färbt den abendlichen Himmel rot, fast ein bisschen kitschig, denke ich. Ein sentimentaler Abend. „Ich liebe das Leben“, singt Mia. Ich liebe den Hass, die Aggression. Dieses Gefühl, das mich so ausfüllt, das so mächtig in mir aufsteigt, dass sich mir der Magen umdreht und ich nichts mehr essen kann. Hass produziert Aggression und Aggression produziert Hass. Hass gegen schöne Menschen, gegen Gewinnertypen, gegen aufgetakelte Huren, eitle Affen, Touristen, Politiker, Schauspieler, gegen eine eitle Medienaffengesellschaft und gegen sie. 

 

Ich gehe in den Englischen Garten und setze mich auf den Rasen. Es ist 20.30 Uhr. Drei nackte Frauen werfen sich eine Frisby Scheibe zu. Jogger, Picknicker, Spanner. Für die, die sich eine Peepshow nicht leisten können, herrschen hier paradiesische Zustände.

Ich trinke noch einen Kaffee und beziehe Posten.

Sie machte eine stetige Veränderung durch. Eine neue Frisur, plötzlich war sie rasiert, dann die Rollos an den Fenstern und die Frage, die ich mir schon lange stellte: wie finanziert sie eigentlich ihren Lebensunterhalt? Wohnung, Zigaretten, teure Klamotten, einen aufwendigen Lebensstil  und das alles wollte sie von einem Studentenjob begleichen, der ihr 500 Euro einbrachte?

Meine Fragen beantwortete sie negativ. Es gibt keine anderen Männer. Eine gemeinsame Urlaubsplanung stellte meine Bedenken ruhig.

Dann der verhängnisvolle Abend: Wir hatten Karten fürs Kabarett. Auf die Aufforderung des Entertainers, wer hier so richtig verliebt ist, der solle jetzt mal die Hand heben, schlug sie in meine Hand, die ich ihr hingehalten hatte ein, und so streckten wir gemeinsam die Arme in die Luft – ich war glücklich. Ein paar Tage später, ich schaute unangemeldet vorbei, sah ich einen Mann mit Hut die Wohnung betreten.

 

Ich warte. Es ist zehn Minuten vor neun. Ich stehe im Treppenhaus vis-a-vis und beobachte ihren Aufgang.

Ich will in der Dunkelheit zuschlagen, dann habe ich vielleicht eine Chance, eine Chance zu entkommen? Ich warte.

Während sie es tut, stehe ich im Aufgang vis-a-vis und beobachte die heruntergelassenen Jalousien.  Ich warte auf die Dämmerung. Ich spüre Stupsnase, zärtlich kuschelt sie sich an meine Brust. Es gibt kein Leben nach dieser Tat, überlege ich und beschließe es jetzt zu tun. Ich verlasse meinen Posten und gehe in den Hof, den in diesem Augenblick der mir bereits bekannte Herr mit Hut betritt. Ich lasse ihn passieren und folge ihm dicht darauf in den Aufgang. Er trägt ein Sakko, eine Jeans und einen Hut. In dem Moment, als er den Klingelknopf der Parterrewohnung drücken will, ziehe ich Stupsnase und presse ihm den Stahl in den Nacken. Er dreht sich zu mir ein: der hässliche Mund, die unreine Haut. Ich weiche einen Schritt zurück. Er sieht genauso aus wie ich: Sakko, Hut, Jeans, die verwachsene Statur. Ich lasse die Waffe sinken und gehe.

 

In der Belgrad Straße ein neu eröffnetes Café. Alle Plätze sind besetzt. Bis auf einen Zweiertisch an dem noch ein Platz frei ist. Sie ist blond und ich überlege, ob ich sie fragen darf, ob ich mich dazusetzen darf. Ich, ein hässlicher Mensch in Schwabing, überlege, ob ich diese schöne Frau, sie ist jung und ihre Züge sind ebenmäßig, fragen darf, ob ich mich dazusetzen darf. Sie hat einen schönen Mund und reine Haut. Sie ist schlank, gertenschlank, ihre Kinder werden per Kaiserschnitt, aber das ist ein anderes Problem. Vielleicht sollte ich Stupsnase ziehen? Die Waffe auf den Tisch legen und mich ungefragt dazusetzen. Wenn sie dann geht, werde ich ihr einfach in den Rücken schießen, wenn der erste Streifenwagen kommt, schieße ich die Trommel leer, gehe in das Café und bestelle mir einen Café Latte.

 

Aber an dem Tisch mit dem einzigen freien Platz, sitzt diese blonde Frau. Ich spüre Stupsis schweren Stahl. Ich stehe und sehe sie an und wage es nicht, sie anzusprechen. Ich stehe da und starre. Ich tue so, als wartete ich, als erwartete ich etwas, als hätte ich etwas zu erwarten? Nichts bewegt sich, alle bleiben auf  ihren Plätzen, bleiben auf ihren verdammten Plätzen sitzen, während sie es ein paar Querstrassen weiter tut und ich auf den Kurfürstenplatz starre. Wissen die denn nicht, dass ich eine 38iger unter dem Sakko trage? Ich betrete das Lokal. Ein Bier fünf Euro, auch nicht gerade billig. Ein Bier fünf Euro ist mir zu teuer. Ich gehe auf die Strasse zurück. Die Blonde an dem Tisch mit dem einzigen freien Platz schreibt etwas. Ich gehe an die Bar, bestelle mir eine Bionade und frage sie, ob der Platz noch frei ist. Ich setze mich und starre den Kurfürstenplatz an. Ich ignoriere. Das letzte was ich mache ist ein Gespräch. Ich beachte sie nicht, ich sehe nur den Kurfürstenplatz. Ich überlege, ob ich mir Stupsnase an die Schläfe setzen und mit einem Schuss nicht nur mich, sondern auch sie erledigen soll? Und wenn ich sie verfehle oder nur verwunde, dann wird sie mich garantiert nie vergessen. Ich kann also nichts falsch machen. Meine Bionade ist fast zu Ende, da fragt sie mich, ob ich ein Stück Schokolade möchte. Ich lehne ab. Sie fragt mich, mich einen hässlichen Menschen in Schwabing, ob ich ein Stück Schokolade möchte. Hier zwischen all den Freaks, Wannabees und Möchtegern-Schwabing-Rappern, diesen Lifestyle-Junkies, fragt mich diese wunderschöne Frau, mich einen hässlichen Menschen in Schwabing, ob ich ein Stück Schokolade möchte. Ich lehne ab. Danke. Aber dann greife ich doch zu und lutsche die Schokolade. Sie liest eine Zeitschrift in einer mir nicht bekannten Sprache. Ich frage sie und sie antwortet Norwegen. Fjorde, Lachse, Rohöl, fällt es mir ein und wunderschöne blonde Frauen. Und jetzt, da ich dies tippe, rinnen mir die Tränen. Ich habe den Schmerz ausgehalten, die Langeweile, das Nichts, das Pochen der Schlagadern, den Adrenalinrausch und ich habe die 38iger nicht gezogen. Stupsnase mit dem kurzen Lauf nicht gezogen. Später, wenn ich aufs Klo gehe, werde ich sie in den Spülkasten stecken. Vielleicht ist sie ja morgen noch da?