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Matthias Keschel: München

 Du bist eine Hure, eine verdammte Nutte. Am Anfang hast du mir schöne Augen gemacht, wolltest mir gefallen, und ich hab mich drauf eingelassen. Hast dich nur von deinen besten Seiten gezeigt. Hübsch und rausgeputzt. Ich hab dich im Frühling kennen gelernt, da ist man sowieso nicht Herr seiner selbst, da passiert das große Spiel, gegen das man sich nicht wehren kann und du hast mitgespielt. Ich mittendrin, gerade zwanzig war ich und grün hinter den Ohren wie der Frühling in den riesigen Buchen, die im Englischen Garten stehen und giftgrün gegen den Himmel spitzen, sich rauspressen aus totem Geäst, und du hast mitgemacht, beschissenes München, mit deiner ockergelben Theresienkirche gegen den frühlingstiefblauen Himmel, mit deinem Königsplatz und deiner Glyptothek, an deren Südwänden man sich an ersten Sonnentagen so schön wärmen kann.

Ich wusste ja nicht um die verknöcherte Verwaltung, um die selbstgerechten Statutenbewacher, horten die Reste der griechischen Antike, geklaut aus Athen von Ludwig I., humanistische Ideale schon da befleckt und geschunden, und jetzt sagt mir dieses Verwaltungsmonster, ich dürfte mein Bier nicht auf der Treppe trinken. Schon mal was von Satyrn und Faun gehört, von Dionysos und Bacchus? Die haben genossen, haben gehurt und gelebt, nicht in den Keller zum Lachen, sondern Alles und Vollgas, aber nicht mal im Keller kannst du Lachen, weil es keinen gibt, nur Gänge und Labyrinthe, Überreste von denen, die die Klassische Antike auch für sich benutzt haben, anders, ja, aber auch benutzt, nicht ihr Wesen erkannt. Du bist weit davon entfernt mit deinem zum Strich gequetschten Mund, dem kaum ein Vokal entkommt, nur quietschende Konsonanten, aber wie der Herr so’s Gscherr, sagt der Volksmund, und gschert ist dein Herr jedenfalls, das kommt von geschoren und bezeichnet einen Mangel, und den hat er, der Herr Professor mit seiner Gutsherrenart, die er Leute wie mich spüren lässt, weil jünger, weil anders, weil Pop. Hat eine Staatsstellung seit Jahrzehnten und das ist wie ein Monopol für richtig und falsch und passt ja zu einem Gutsherrn: dass er Macht hat und sie ausspielt.

Ich wollte eine Modenschau machen da drin, weil ich Mode mache und die mach ich mit Herz und ich hab eure Sagen in meine Entwürfe verwoben, Professor, aber du hast nein gesagt und ich habs trotzdem geschneidert, wollte dich mit den Schnitten überzeugen. Es blieb beim ‚Nein’, das hast du mir nicht selbst gesagt. Du hast auch meine Schnitte nicht angeschaut. Du hast jemanden geschickt, und der hat gesagt: siebentausend Euro. Dann können sie alles machen.

 

Mit deinen Biergärten hast du mich verzaubert, München, mit dem Augustiner Biergarten zum Beispiel und seinen uralten Kastanien und den fünftausend Plätzen, die der hat, schaut gar nicht soviel aus wenn man am Eingang steht. Biergärten haben Tradition, stehen für bayrische Gemütlichkeit, und die hast du dir erhalten, München, die kühle Maß im Schatten nach getaner Arbeit, Labtop und Lederhosn werben sie nebendran für ein neues Immobilienprojekt, ein Investor hat das Postgelände gekauft hat und wiedermal wird was ‚entwickelt’,  das schöne Gelände in topausgestattete Büros verwandelt auf dass tausend weitere irre Sesselfurzer-Arbeistplätze geschaffen werden, beschäftigt mit der Vermittlung der Vermittlung der Vermittlung einer Vermittlung. Produziert endlich mal was! - das kann glücklich machen, wenn man was kann, und nicht nur sich durchsetzen - aber im Augustiner, da gibt’s Labtop und Lederhosn, Tradition und Moderne, und Biergartentradition wär ja zum Beispiel, dass man sein Essen mitbringt, und das Bier hier kauft und trinkt, fünftausend Plätze, was meinst du, was der Pächter für einen Umsatz macht an einem guten Abend, da müsst man schon mal ein Auge zudrücken können, aber versuch mal, eine Serviette oder Besteck an der Kasse vorbeizuschmuggeln, wenn du nichts zum Essen auf dem Tablett hast. Kriegst du nicht. Weil du nichts kriegst, nicht geschenkt jedenfalls, du sollst geben, und zwar acht Euro für die Mass, vier für die halbe Weissbier und dreifünfzig für eine große Brezen. Und ansonsten dein Maul halten.

 

Das Maul reißen andere auf, weit reißen sie’s auf und sie haben mich meine Jahre hier begleitet. Wir waren Freunde, würde ich sagen, gute Freunde waren wir, selbst den Kaiser hab ich früher gelesen, wenn er hergezogen hat über Chopininterpreten, wenn er schöngeistig gelobt hat mit formulierungsverliebten Bildern, wenn er wusste was gut ist und was schlecht und ich weiß nicht, wie viel Karrieren er auf dem Gewissen hat. Ich hab dich Ernst genommen, Süddeutsche, dich und deine Redakteure, du hast mir den Tag eröffnet mit so vielen Geschichten, hast mir die Wahrheit ins Haus gebracht - dachte ich, Münchner Zeitung, Zeitung der Münchner. ‚Seien sie anspruchsvoll’ versuchst du mich zurückzuerobern, mich und viele andere zur Zeit, aber ich war zu anspruchsvoll. Inzwischen kotze ich, wenn mir dein Redakteur auf der Jetztseite erklärt, dass er verstanden hat und in Halbsätzen irgendwelcher Szeneideologie hinterherdackelt. Ich kotze, wenn deine Feuilletonredakteure es nicht schaffen, über den eigenen Tellerrand zu schauen; fachmännisch fabulieren sie über das, was groß ist, verzückt von den eigenen Sätzen und Gedanken und bedienen doch nur das Establishment. Kein Mut. Nicht Neues. Ich kotze, wenn du höchstens da mutig bist, wo es nichts zu verlieren gibt. Du bist nicht das schlechte Gewissen gegen geistige Faulheit. Du bist das kleine Guckloch in den Teil deiner bürgerlichen Welt, den du mir zeigen kannst, den deine Redakteure kennen oder kennen wollen, artig und auch nicht besser wie Marietta Slomka oder Anne Will, wie Tom Buhrow oder der weinduselige Ulrich Wickert, der mir jetzt im Altmännertremolo schöngeistige Literatur ohne böse Wörter aufschwätzen will: Nachrichten frisch geduscht im Jackett aus guter Wolle, mindestens hundertachtziger. Und auf hundertachtzig bringst du mich, seit du begonnen hast, alle Kultur hier zu verramschen, die du in die Finger bekommst. Die beste Literatur, die besten Filme, die Lieblingsfilme, die Berlinale-Cinemathek und alles, mit dem sich Geld machen lässt. Die Filme selbstgerecht und politisch korrekt ausgewählt, die Bücher schlecht editiert, Rechtschreibfehler ohne Ende und bis zum Rand voll geschrieben auf dickem billigen Papier mit festen Buchdeckeln, auf dass sie was hermachen im Bildungsbürgerregal. Die Städtebücher aufgemotzte Nullnummern, inhaltsleer und beliebig und sauteuer für das, was sie hergeben. Über die Sportbücher will ich nicht mal kotzen, Süddeutsche, aber das Schlimmste ist doch, dass diese Geschäftsidee so gut funktioniert.

 

Und funktioniert dein Laden noch, Bürgermeister? So sagt man doch bei euch in der Partei, Bürgermeister, man darf sich duzen und nennt sich bei der Funktion und das ist doch eigentlich lustig, weil – ich weiß nicht, wie du das empfindest, aber – für mich liegt da einiges im Argen, ich mein, von der Funktion her. Warst du schon mal auf dem Einwohnermeldeamt oder in der Ausländerbehörde, Bürgermeister? Hast du mal irgendeine Genehmigung beantragt? Oder was soll ich, als Nachtmensch, von den Stillen Tagen halten, und was du draus machst? Vom Feiertagsgesetz und dem Verbot der Afterhour zwischen sieben und elf am Sonntag? Von deinen Parklizenzgebieten und den dreimeterhohen Schildern, die alle Bürger und Besucher belehren, ordnungsgemäß ihr Geld abzudrücken für’s Parken? Wo ich wohne sind das gefühlte hundert riesige, hässliche, grauweiße Wände. Macht München nicht schöner; aber das ist vielleicht egal bei all den stadtplanerischen Projekten in unserer Stadt. Das Charles-Hotel, der alte Containerbahnhof zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke, Nordschwabing und die ‚Theresie’ – wieviel distinguiert-anthrazit oder regenbogenbunte Unternehmens-Beraterbunker brauchen wir denn noch? Die Touristen kommen ja wegen der Wiesn und dem Stückerl Disneyworld im Herzen dieser Weltstadt, dem Platzl mit Hofbräuhaus und auch für einen SPD-Bürgermeister geht es erst Mal darum, dass die Kasse stimmt und die mächtigen Lobbies befriedet sind. Wacker erhöhst du jedes Jahr die Preise von den Verkehrsbetrieben um zehn Prozent – vor dreißig Jahren sind so in den verschiedensten Städten Krawalle losgegangen. Die Rolltreppen werden mehr, du baust ein eigenes Verkehrsmuseum, weil für München ja das Deutsche Museum mit seinem Verkehrsmuseum Theresienhöh’ und Oberschleißheim nicht reicht, die Züge werden immer moderner, eckiger, bunter von der vielen Werbung die überall rumhängt, die Regellisten immer länger. Seit ein paar Monaten darf man also kein Bier mehr trinken in deinen Bussen, Trambahnen und Zügen. Aha. Und ‚aus dem Walkman tönt es grell, den Nachbarn juckt’s im Trommelfell’, ja, den auch nicht. Dein teures Verkehrsnetz funktioniert, München, aber: findest du irgendwas charmant daran? Die Beleuchtung? Die Gestaltung der Bahnhöfe? Das Verbraten jedes verfügbaren Zentimeters für Werbung? Jetzt baust du ja über zweitausend Flachbildschirme in die Züge, um uns Bürger noch besser informieren zu können. Aha, informieren. Das Schönste in dem Zusammenhang war doch die Erhöhung der Bezüge der Stadtwerke-Chefs mitten in der Finanzkrise um bis zu fünfzig Prozent. Irgendjemand muss ja im Geld schwimmen, damit er’s ausgeben kann und die Nachfrage ankurbeln. Aber reichen diese fünf?

 

Und München, natürlich, ja, mit deinen Frauen, deinen Mädchen, auch mit denen hast du mich geangelt, hast mich gekeschert und ich bin dir nicht mehr ausgekommen, zuerst noch getrieben in einem See von Verheißung und Lust und Liebe, ja Leben, dann im Netz verfangen, dann untergegangen. Wie sie im Frühling bunt durch die Straßen wehen, unerreichbar, nicht greifbar, Feen, denen man Worte andichtet, ganze Reime, was sag ich, Romane, die keiner lesen will, um festzuhalten, was unbeschreiblich ist, höhere Wesen meint man, anderes Denken und Fühlen und Handeln, natürlich anderes Aussehen. Was macht die Augen so verführerisch, den Blick so tiefsinnig, die Haltung so natürlich, die Stimme so sanft, die Taille so schmal, den Busen so groß? Vielleicht doch nur Wimperntusche und Kajal, Puder, wattierte BHs, Korsagen und die Ausdauer, jede Woche die Gala durchzuarbeiten um informiert zu  sein, was die anderen machen und wie sie’s machen. Ihr uniformiert euch und wir fallen drauf rein. Ihr seid von dieser Welt, und wir auch, ich auch und das Spiel ist ein Programm, das immer gleich abläuft und wenig Variationen kennt und Schopenhauer hat mal gesagt, das weibliche Geschlecht das Schöne nennen kann nur dem vom Geschlechtstrieb umnebelten Mann passiert sein. Im Endstadium seiner Syphilis ist er weinend vor einem Packesel zusammengebrochen, weil er dessen Leid nicht mehr ertragen wollte und hat sich womöglich nur ein passendes Abschiedsbild gesucht, wie einen guten Satz, mit dem man gehen kann, sich von der Welt verabschieden, weil er die Wahrheit ist. Sein Kollege Simmel wusste, dass Liebe nur ein Wort ist, der Papiervernichter. Und du, Münchnerin? Es gibt etwas wie Liebe, hast du mir gezeigt, ja, das gibt es, zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren hast du ein von deiner genetischen Bestimmung unabhängiges Gefühl, kannst du jemanden gut finden, dich verlieben ohne Bedingungen, muss ich keiner Vorstellung gerecht werden, lässt du passieren. Danach beginnt der gemeinsame Weg steinig zu werden. Du musst die Zukunft sehen können und das Nest. Du verlangst von mir, Verantwortung zu übernehmen, willst an der Beziehung arbeiten, willst, dass ich an mir arbeite. Du forderst Zeit, meine Visionen müssen plötzlich auch eine materielle Komponente haben, obwohl du das nicht aussprichst, ich spür es, wir folgen viel zu vielen Pärcheneinladungen, in denen Freunde mit gestärkten Hemden sitzen, die manchmal auch gestreift sind, oft liegen wir um Mitternacht schon daheim im Bett, schlafen ein ohne uns zu berühren. Selbst die Sonntage bekommen eine Bestimmung, wir gehen spazieren, treffen uns auf Nachmittagscafes, sitzen plötzlich mit anderen im Strandbad statt allein am See. Mir ging die Luft aus, München, weil deine Frauen mich nicht mehr haben atmen lassen. Weil wenig passierte, das Meiste geplant war. Weil ich nicht mehr genießen, nicht mehr empfinden durfte, sondern musste.

 

Und dann muss ich noch Tucholsky lesen, München, ein Zitat auf dem Werbeplakat für den Palazzo, das teure Varietetheater will vollgemacht werden:

Lasst uns das Leben genießen, solange wir es nicht begreifen - Spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal, damit das Pack drauf rumlatscht!!! Schluss! He, Schuhbeck! – du benutzt eine verzweifelte Seele als Verkaufsförderungsmaßnahme und hast sie längst nicht verstanden. Das ist mehr als die Leute zum Klatschen zu bringen, weil einer zwei Teller auf seiner Nase balanciert; ist bittere Wahrheit! Aber mir hast du dieses Zitat geschenkt, das ich vorher nicht gekannt habe und so hat halt alles zwei Seiten.

Und – München – weißt du, was mir wirklich das Herz bricht? Was das Schlimmste ist? Das keine Stadt besser ist, als du. Ich glaub, ich muss gehen.