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 Eine Nacht und ihr Geheimnis

"Disco Night" im Studio 35: Die Warteschlange vor dem Einlass ist gut zwei Kilometer lang.

Ein rechteckiger Lichtfleck blitzt auf, huscht über knutschende Pärchen, orangebraune Stellwände, wodkaausschenkende Kellnerinnen, silbrige Deckengehänge, wandert über auf- und niederzuckende Tänzer, über Boxen, aus denen der Sound föhnt, strahlt über Wände, die aussehen, wie mit Alufolie verklebt, und endet endlich in den rehbraunen Augen der Dancing Queen, der Königin der Nacht. Wenn sie dann herschaut, den Lichtfleck auf der Iris, bekommt man von ihrem betörenden Blick eine Brandwunde auf der Stirn. Dann dreht sie sich wieder weg, die Haare schüttelnd, ein verzücktes Lächeln im Gesicht.
Das Geheimnis dieser Nacht: Der wunderbare Lichtfleck, der durch die Halle geistert und dann in die Augen der Allerschönsten fällt, ist nur eine Reflexion, von der sonnengroßen Diskokugel, die sich unter der Decke dreht.
Das ist die "Disco Night", eine Party im SAS-Film-Studio in der Schwere-Reiter-Straße, Hausnummer 35. Wegen dieser Anschrift trägt das Fest den Untertitel "Studio 35". Außerdem soll das natürlich eine Anspielung auf das legendäre "Studio 54" sein, die New Yorker Siebziger-Jahre-Disko, der durch den gleichnamigen Kinofilm vor nicht allzu langer Zeit ein lebensbejahendes Hedonisten-Denkmal gesetzt worden ist.
Gastgeber ist die Event-Agentur "h+s", betrieben von Otger Holleschek und Matthias Schlick. Die beiden darf man wohl als Party-Königstiger bezeichnen. Im normalen Leben organisieren sie sogenannte "Medienereignisse", zum Beispiel Werbe-Präsentationen. Ein paar Mal im Jahr jagen sie über ihren Post-Verteiler Einladungen an ihren Kundenstamm und Bekanntenkreis heraus, trommeln ihre Leute zu öffentlich nicht beworbenen Feier-Nächten zusammen. Jedes Mal im Morgengrauen ist jeder überzeugt, er hätte etwas versäumt, wenn er nicht dabei gewesen wäre. Rund tausend Gäste, vor allem Film und Werbevolk, waren auch dieses Mal mit von der Party. Traditionsgemäß bildeten die Einlass-Begierigen eine ungefähr zwei Kilometer lange Schlange vor den Türstehern. So weit wirklich wie im Spielfilm "Studio 54". Ansonsten war es bei Holleschek und Schlick nicht ganz so wild wie bei den seinerzeit in New York wohl üblichen Verzückungen. Wichtigster Unterschied: Im "Studio 54"-Film gibt es eine Galerie, auf die sich astralleibige Kellner mit betuchten Gästen zurückziehen, um ihre Tücher von sich zu werfen. Im "Studio 35" gab es auch eine Galerie, die Leute warfen sogar ihre Tücher ab – aber nur an der Garderobe.
Dort standen sie Schlange mit den Tanzfaulen, die lieber an ihrem Bier nippten und mit Kennermiene die Menge unter sich musterten, statt sich im Rhythmus zu bewegen. Selber schuld. Nur auf der Tanzfläche zeigte sich die Dancing Queen. Sie schaute nur ein Mal her mit ihrem Funkeln in den Augen. Der Rest war wie der Lichtfleck dieser Diskokugel: Sinnlos schön.
(23.10.99 / Jochen Temsch, SZ)