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Andreas Kurz: Sabrina und ich 

Ja, es stimmt, Sabrina und ich haben geheiratet. Oh, bitte, schon gut, machen sie sich keine Umstände, es war mehr eine Notwendigkeit oder wie soll ich sagen, es war in gewisser Weise unvermeidbar. Keine große Feier, nein, nein, mehr so im Privaten, ein kleiner Rahmen, ja, das kann auch sehr nett sein, natürlich. Sabrina geht es gut, Danke der Nachfrage, ich glaube, sie ist ein Mensch, der ein lange angestrebtes Ziel endlich erreicht hat.
Wo wir uns kennengelernt haben? Ich habe noch nie darüber gesprochen, ein wenig ist es mir auch unangenehm, ich bin da etwas altmodisch, doch ich will es Ihnen sagen. Im Internet. Man lernt sich heutzutage im Internet kennen, man chattet. Kein Mensch gibt mehr ein Inserat auf. Sie war Drosselchen, ihr Bild gefiel mir, sie lächelte darauf fast ein wenig unschuldig. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, ich weiß nicht mehr, es ging immer hin- und her. Oft langweilt man sich schnell, aber bei ihr war es anders. Sie brach nicht gleich wieder den Kontakt zu mir ab wie so viele der anderen. Das Bild von mir ist auch nicht besonders gelungen, mit Selbstauslöser ist es ja nicht einfach. Bald trafen wir uns in einem Café. Ehrlich gesagt habe ich sie nicht gleich erkannt. Das muss daran liegen, dass Bilder einen Menschen oft nicht so wiedergeben, wie er in Wirklichkeit aussieht. Das Objektiv verzerrt die Proportionen oder ich weiß nicht. Jedenfalls war ich enttäuscht. Ich muss das so direkt sagen, es tut mir ja Leid, aber es ist doch die Wahrheit. Man macht sich eine bestimmte Vorstellung und ist enttäuscht, weil die Wirklichkeit anders ist, durchaus reizvoll, aber anders. Sabrina war sehr gepflegt, ihr Stil ist nur ein wenig schlicht, oder, ich muss mich korrigieren, damit Sie mich nicht falsch verstehen, zurückhaltend. Sie will sich nicht in den Vordergrund drängen wie andere Frauen, mit auffallenden Dekolletees, aus denen die Brüste quellen wie Hefeteig aus der Form. Das ist übrigens so ein Vergleich von ihr, den sie gerne verwendet. Sie spricht sehr anschaulich, müssen Sie wissen. Sabrina ist körperlich sehr zurückhaltend, ja bescheiden, das zeichnet sie aus.
Wir saßen uns zum ersten Mal gegenüber und ich spürte den unbedingten Willen in ihren Augen, diese Kraft. Dagegen bin ich ja eher flatterhaft, ich weiß oft gar nicht recht, was ich eigentlich will, ich steh mir da gern selbst im Wege. Jedenfalls unterhielten wir uns. Etwas stockend, muss ich zugeben, die erste Befangenheit. Sie sprach von ihrem Elternhaus, wenn ich mich recht erinnere. Sie war sehr stolz auf ihre Eltern, am Tisch wurde gebetet und sie hatten keinen Fernseher. Ich fand es mal etwas anderes als das Übliche, was sie sagte. Es war auch so anders als das, was ich selbst erlebt hatte. Meine Eltern sind geschieden, die Kirche bedeutete ihnen nichts, meine Mutter fand einen jugendlichen Freund und … aber ich schweife ab.
Unser erstes Treffen war nur kurz, denn ich hatte noch etwas vor. Wir verabschiedeten uns mit einem herzlichen Händedruck. Ehrlich gesagt, vergaß ich sie danach völlig, ich schäme mich dafür, ich hätte ihr mehr Respekt erweisen müssen. Sie war es, die erneut die Initiative ergriff und sich meldete. Per E-Mail. Da machte ich einen Fehler, der mir noch heute unverzeihlich erscheint. Sie fragte mich, ob sie mir denn ein wenig gefallen hätte und ich antwortete, ziemlich plump, sie wäre wohl nicht ganz mein Typ. Das musste sie verletzt haben, denn sie hakte sofort nach. Wissen Sie, Ehrlichkeit ist ja so eine Sache. Erst heute ist mir bewusst, dass offene Worte dort ihre Grenzen finden müssen, wo die Rechte anderer beginnen. Ich weiß gar nicht, wie ich es übers Herz bringen konnte, ihr roh zu schreiben, blonde Frauen würden mich stärker anziehen als dunkelhaarige. Sabrinas Haare waren dunkelbraun, fast schwarz. Sie trug sie glatt und im Nacken zum Pferdeschwanz gebunden. Kräftige, gesunde Haare, es stand mir nicht zu, darüber ein Urteil zu fällen. Jedenfalls fühlte sie sich in ihrem natürlichen Recht, anerkannt zu werden, so wie sie war, missachtet. Mir war damals gar nicht bewusst, dass sich etwas geändert hatte. Man muss mit diesen Gedankenlosigkeiten aufhören und vom Einzelnen erwarten, dass er seinen persönlichen Horizont erweitert. Sabrina teilte mir mit, dass sie meine Einlassung ihr gegenüber so nicht hinnehmen könnte, und schickte mir im Anhang einige Links mit, ich klickte mal rein, las etwas von einem „Gleichbehandlungsgesetz …“ und einem „Diskriminierungsverbot“, ich kannte das nicht, man ist ja irgendwie träge, man informiert sich zu wenig, sie hatte ja recht.
Ich traf mich also wieder mit ihr, schon um meinen guten Willen zu zeigen und dem Gesetz Genüge zu tun. Für ihre Haarfarbe konnte sie schließlich nichts und ich musste das einsehen. Wir trafen uns zum Essen in einem italienischen Lokal und diesmal erkannte ich sie auch sofort. Leider war ihr Gesicht mürrisch und verletzt. Der Kellner munterte sie gottseidank etwas auf. In seinem gebrochenen Deutsch-Italienisch wirkte er sehr charmant. Noch während wir auf das Essen warteten, fragte sie mich, ob ich denn auch dem Kellner seine geringen Sprachkenntnisse vorwerfen würde und lieber eine andere Bedienung als ihn hätte? Ich beeilte mich, dies zu verneinen. Sie nippte an ihrem Wasserglas und fuhr fort, sie würde sich niemals ein Urteil über meine Körpergröße oder meinen unübersehbaren Bauchansatz erlauben. Ich spürte, wie ich rot wurde, mich aber gleichzeitig über diese Worte freute, denn wie Sie sehen, bin ich nicht besonders groß und neigte schon von Jugend an ein wenig zur Fülle. Man hat mich diesbezüglich mehr als einmal gehänselt, und ich konnte nachvollziehen, wie es ihr dabei erging. Sie sagte, man müsse sich endlich von diesen Äußerlichkeiten lösen, es sei ein Gebot der aufgeklärten neuen Zeit, niemand stehe es noch zu, einen anderen aufgrund von Körpermerkmalen abzulehnen und ihm wichtige Teile am gesellschaftlichen Leben vorzuenthalten. Ich musste den Kopf senken und ihr Recht geben.
Noch während der Hauptmahlzeit überraschte sie mich mit der Frage, wie sie mir denn gefalle. Meine hierauf folgenden ausweichenden Stottereien wollte sie nicht gelten lassen. Körperlich, meinte sie scharf, als Frau. Ich stocherte in den Spaghetti und murmelte, nicht schlecht, ganz normal. Zu klein?, fragte sie. Nein, nein, keineswegs. Zu dick? Sie war dünn wie ein Stecken, ich grinste, dann winkte ich ab und sagte: aber woher denn. Zu wenig Busen? Ich wunderte mich, dass sie das Wort überhaupt in den Mund nahm. Ist doch nichts dabei, erriet sie meine Gedanken. Zwischen Mann und Frau muss es innerhalb eines gewissen Rahmens auch solche Anziehungskräfte geben, das wäre die gottgeschaffene Natur. Verwirrt starrte ich unhöflich auf ihre Brust. Unter dem dicken Stoff des labberigen Pullovers zeichneten sich kaum Rundungen ab.
Also zu wenig Busen, meinte sie scharf. Na ja, druckste ich rum, ich weiß ja nicht. Du musst das Angebot also erst mal geprüft haben, bevor du dich entscheidest, ist es das? Aber nein, wehrte ich mich verzweifelt, wo denkst du hin, so einer bin ich natürlich nicht, wir kennen uns noch kaum, da sei so etwas doch nicht wichtig. Sie seufzte und schwieg, aß langsam, ganz in Gedanken versunken. Es war unverzeihlich. Auf eine einfache Frage hatte ich ihr nicht vernünftig antworten können. Etwas Wein? Ich schob ihr mein Glas hinüber. Alkohol sei keine Antwort, sagte sie leise.
Ich gab mir einen Ruck. Ich finde, du bist ein nettes Mädchen. Waren das die richtigen Worte? Ich ergänzte, sie wäre als Frau ebenso viel wert wie jede andere auf dieser Welt. Würdest du das auch zu einem Mann sagen?, konterte sie eisig. Ich verabrede mich eigentlich nicht mit fremden Männern, entgegnete ich verwirrt. Wieso sei sie nur als Frau ebenso viel wert und nicht als Mensch? Wieso maße ich mir ein geschlechtsspezifisches Urteil über sie an?
Tu ich doch gar nicht, beeilte ich mich, trank den Wein, und ich muss zugeben, ich wurde ein klein wenig wütend auf sie. Plötzlich sagte ich, ohne nachzudenken, dass es mir Leid täte, aber sie entspräche so gar nicht meinem Bild von einer idealen Frau. Ich könnte das nicht weiter begründen, es wäre eher eine spontane Regung aus dem Bauch heraus, schade, natürlich, aber nicht zu ändern. Nachdem ich das gesagt hatte, winkte ich eilig den Kellner herbei, bezahlte meinen Teil, erhob mich und verließ raschen Schritts das Lokal. Es war eine Flucht, kein Zweifel. Ich ließ sie gedemütigt zurück. Dennoch fühlte ich mich auf dem Nachhauseweg ein wenig erleichtert. Natürlich rechnete ich nicht mehr, noch ein weiteres Mal von ihr zu hören. Doch dann bekam ich diesen Brief von einem Anwalt. Er forderte mich auf, detailliert und rechtsverbindlich zu begründen, warum ich Frau Sabrina Lohmeier zurückweisen würde, gleichzeitig aber durchaus auf der Suche nach einer neuen Lebenspartnerin wäre. Man könne dies durch meine neuerlichen starken Aktivitäten als Schnuffelchen auf der Internetplattform Küsse24 leicht nachvollziehen. Er stellte klar, dass meine Ablehnung seiner Mandantin wegen äußerlicher körperlicher Merkmale wie Haarfarbe oder Brustumfang ohne Relevanz seien. Es wäre das Recht seiner Mandantin, als allen anderen Frauen gleichgestellte Person von mir Anerkennung zu finden. Der Platz an meiner Seite könne darum ebenso gut von ihr erfüllt werden, da sie alle dafür erforderlichen Voraussetzungen mitbrächte, als da wären Geschlecht und Alter.
Noch am selben Tag löschte ich meinen Mitgliedsaccount Schnuffelchen bei Küsse24. Dem Anwalt teilte ich mit, dass ich in keiner Weise die Rechte seiner Mandantin einschränken wollte und mich für meine unüberlegt geäußerten Worte bei ihr entschuldigen wollte. Den Platz einer Frau an meiner Seite würde ich aber vorerst nicht besetzen wollen, da mich andere private wie berufliche Aktivitäten davon abhielten. Nachdem ich den Brief weggeschickt hatte, konnte ich es mir nicht verkneifen, ganz alleine eine Flasche besten Jahrgangschampagner zu trinken, den ich mir für ein besonderes Ereignis aufgehoben hatte. Meine amourösen Absichten verlagerte ich fortan auf sogenannte Single-Dating-Parties, wo ich anonym bleiben konnte und behauptete, der Horsti zu sein. Der böse Zufall wollte es aber, dass ich dort eines Tages Sabrina wiedersah. Ausgerechnet, als es mir eine prächtige Blondine besonders angetan hatte und ich sie unübersehbar anschmachtete. Sabrina fotografierte mich mit ihrem Handy. Sie war dort leider nicht ebenso suchender Single wie ich, sondern jobbte als Teilzeitkellnerin. Ich konnte also nicht im Gegenzug behaupten, sie hätte ihre Ansprüche auf mich bereits aufgegeben. Ihre kleinen Augen blitzten mich böse an und schon am übernächsten Tag lag das Schreiben ihres Anwalts in meinem Briefkasten. Eine Abmahnung. Die Summe war so hoch, dass ich mich erst einmal setzen musste. Man ließ mir allerdings eine Hintertür offen.

Eine bescheidene Hochzeit, wie schon gesagt. Ich denke jetzt zuversichtlich, ich werde mich schon noch an sie gewöhnen. Schließlich ist sie in der Tat nicht anders als die meisten Frauen unserer Generation. Sie ist wirklich sehr dünn und ihre Brust, nun ja, Sie werden verstehen, dass Sabrina und ich darüber aus prinzipiellen Erwägungen nicht sprechen. Wie überhaupt über individuell körperliche Ausprägungen. Im Prinzip sind wir Menschen alle gleich, das allein zählt. Wir respektieren die Rechte des anderen. Darum haben wir auch geheiratet. Vor kurzem entfuhr ihr unkontrolliert ein „Typisch Mann“, das ich natürlich gleich notiert habe. Datum, Uhrzeit und Anlass der Äußerung. Sie werden das vielleicht übertrieben finden, aber man muss an die Zukunft denken. Auf Sabrinas tägliche Fangfragen wie: Steht mir das Kleid, antworte ich prinzipiell nicht mehr, nachdem sie mir ein Du-bist-wunderschön als zynischen Versuch, sie durch unrealistische Übertreibungen zu zermürben, also ein verbales Mobbing, ausgelegt hatte. Regelmäßig jede Woche besuche ich nun einen Anwalt, mit dem ich meine in Zukunft Sabrina gegenüber geplanten Äußerungen kurz durchspreche, und der mich über alle Neuregelungen und Novellierungen auf dem Laufenden hält. Mit ein wenig Glück, meint er, könnte ich mich vielleicht eines Tages wieder von ihr trennen. Ich hätte bei der Kontaktaufnahme aber schon alles falsch gemacht, was man falsch machen könnte. Jetzt weiß ich das natürlich auch.
Schwierig gestaltet sich der Beischlaf. Die Möglichkeit fremd zu gehen, ist mir im Prinzip nicht mal verwehrt. Eine Diskriminierung ihrer Person ist dann nicht gegeben, wenn ich sie vorher über meine Absichten informiere und sie von ihrem Erstrecht keinen Gebrauch macht. Leider verzichtete sie bisher niemals. Wohl auch, weil sie weiß, dass es mir mit ihr nicht leicht fällt. Mein Anwalt sagt, keinen hoch zu kriegen, sei eine rechtliche Grauzone. Die Experten streiten darüber, ob nun darin eine Missachtung des anderen als sexuell attraktive Person zu sehen sei, oder nur ein individuell körperliches Versagen. Es gäbe bereits mehrere Gutachten, die sich aber weitgehend widersprächen. Der Europäische Gerichtshof wird sich damit befassen müssen.
Ich habe mich darum entschieden, mich lieber zu enthalten, in jeder Weise. Ich möchte es als regungsloses Warten bezeichnen. Ehrlich gesagt, erinnert es mich an das Leben meiner Eltern. Auch sie schwiegen sich meist an und gingen sich aus dem Weg, bis sie sich eines Tages trennten. Mir war nie bewusst gewesen, wie modern sie bereits lebten. Dabei mussten sie noch ihre Pässe vorzeigen, wenn sie nur nach Österreich wollten. Sie waren ihrer Zeit ungeheuer weit voraus.