Home       Locations       Events       Unternehmen       Lesungen       Kontakt       Impressum       English      

Daniel Oliver Bachmann: Im Herrgottswinkel, Hausnummer 13 

Also bei uns im Haus, der Anthony, das ist ein komischer Vogel. Echt komisch. Der kommt nicht von hier, der kommt aus Afrika, der ist schwarz. Kenia hat er gesagt, oder Kongo, oder dort, wo der Winnie Schäfer mal Trainer war, das war in… in… in was-weiß-denn-ich. Was weiß ich wie die Länder in Afrika heißen. Das ist wie beim Anthony, der heißt auch nicht Anthony. Hat uns gesagt, wie er heißt, aber das kann sich kein Mensch merken. Irgendwas mit Bula, aber wir sagen halt Anthony. Anthony nach Anthony Yeboah, der früher bei Eintracht Frankfurt kickte. Der war echt gut, aber ein ganz anderer Typ wie der Asamoah oder der Owomoyela. Den Yeboah, den hätte der Fredl gerne bei uns gesehen. Fredl meinte, der hätte gut reingepasst. In die Bayernliga, da hätte er gut reingepasst. Aber es ging ja ums Alter, man wusste nicht, wie alt der Yeboah war, und er wusste es auch nicht. Das muss man sich mal vorstellen. Der Otto Pfister hat gesagt, da hilft nur eines, Bein aufsägen und Jahresringe zählen.
Der Otto Pfister, das war Yeboahs Trainer.
Aber so einfach ist das nicht mit dem Beinaufsägen. Der soll ja nachher noch spielen.
Also unser Anthony, der hat auch mit Fußball zu tun. Der fährt den Rasenmäher, und das macht er echt gut. Fährt exakte Streifen, da gibt´s nichts zu meckern. Der Bernd von oben sagt, es hat ihn doch sehr erstaunt, als er das zum ersten Mal sah. Dass der Anthony so exakte Streifen fahren kann. Zum Bernd sagen wir Gina, weil er auf die Gina steht. Die Gina Wild, die da diese Filme macht. Die hat er alle, diese Filme, und manchmal gucken wir zusammen, aber ohne den Anthony.
„Sonst kann der morgen keine Streifen mehr fahren“, sagt der Bernd.
Der Bernd hat die Gina schon getroffen. Das war auf der Messe, da hat sie Vorstellung gemacht. Er hat sich nach vorne gedrängelt, das war nicht leicht. Hat ein Fotohandyfoto gemacht, und da sieht man die Gina drauf und den Daumen vom Bernd. Die sind da beide drauf, auf dem Fotohandyfoto. Dann hat sie ihm einen Kuss gegeben, übers rechte Auge.
„Überm rechten Auge“, hat der Bernd gesagt, „wasch ich mich nicht mehr.“
Vom Kuss war nichts zu sehen auf dem Fotohandyfoto, und deshalb stimmt´s vielleicht nicht.
Der Fredl sagt, „da bin ich mir sicher: Das mit dem Kuss ist glattweg gelogen.“
Der Fredl ist einer, der nimmt kein Blatt vor den Mund.
Der sagt auch Blacky zum Anthony, und zu seiner Frau sagt er Alte.
Das sagt er aber nur, wenn sie´s nicht hört.
Das sagt er oben beim Bernd, wenn Gina im Video läuft. Da will seine Frau auch nicht mitkommen, das will sie nicht sehen.
Da sagt der Fredl, die Alte sei verklemmt.
Der Fredl hat dem Anthony den Job beim Verein besorgt. Den Rasenmäherjob. Der Fredl kennt den Josef, und der Josef den Uli, und der Uli hat gesagt, soll hat mal vorbeikommen, zu tun gibt´s immer was. Das hat der Fredl gemacht, weil er ein gutes Herz hat. Dass seine Alte verklemmt ist, dafür kann er nichts.
Außerdem finde ich, ist sie überhaupt nicht verklemmt. Die mag nur nicht Gina im Video gucken, aber das braucht sie auch nicht. Die hat auch so was auf der Pfanne. Manchmal, wenn der Fredl beim Bernd ist, sage ich „muss jetzt meine Runde drehen.“ Ich war beim Schließdienst, und jeder weiß, da muss man Runden drehen. Ich bin nicht mehr beim Schließdienst, aber das habe ich keinem erzählt. Wenn der Fredl also beim Bernd ist, und der Bernd die neue „Best Of Gina“ einlegt, dann weiß ich, das dauert jetzt mindestens eine Stunde.
Dann sag ich, „ich dreh mal meine Runde“, und geh runter zu Fredls Frau. Die wartet schon, und alles was Recht ist, von Gina braucht die nichts lernen. Da denk ich dann, der Fredl hat echt ein Rad ab, was sitzt der oben und guckt Video? Sagen tu´ ich natürlich nichts, auch nicht wenn sie sagt, „das ist doch nur wegen Anthony, von dem kann der Fredl die Augen nicht lassen.“
„Ist dir aufgefallen?“, sagt sie, „wie der Fredl den anstarrt?“
Ich sehe nur, wie Uta aus der Kellerwohnung den Anthony anstarrt. Das ist auch kein Wunder. Die hat drei Kinder, sechs, acht und zehn Jahre alt, die hat sie von drei verschiedenen Männern.
„Haben sich alle verpisst“, sagt Uta, „jetzt hock ich da.“
Sie hockt unten in der Kellerwohnung, in der hat Wolfi früher seine Büros gehabt. Die Kellerwohnung ist in Ordnung, ist nur dunkel. Wenn ich bei Uta nach dem Rechten sehe, brennt immer Licht. Ich sag dann, „das kostet auch Geld, Licht gibt´s auch nicht umsonst“, aber sie sagt nur, „soll ich etwa im Dunkeln rumhocken? Soll ich im Dunkeln hocken, bis der Herr mal wieder Zeit für mich findet?“
Ich muss sagen, mit Fredls Frau ist es nicht so anstrengend wie mit Uta.
Fredls Frau hat auch mehr drauf.
Aber ich sehe mich in der Pflicht. In eine Hausgemeinschaft muss man reininvestieren.
Da muss man sich einbringen.
Der Wolfi sieht das anders. Der Wolfi fuhr mal Porsche. Hat Steuerfinanzierungsmodelle gemacht, unten in der Kellerwohnung, hat einen Hedge-Fond gehabt. Was das ist, weiß ich nicht, und Roswitha weiß es auch nicht. Aber sie hat gesagt, eines Tages kam er rauf und hat Rotz und Wasser geheult, hat gesagt, jetzt erschieß ich mich. Hat geheult, weil alles den Bach runter ging. Eine Zeitlang kamen Leute vorbei, die wollten den Wolfi auch erschießen. Die klingelten Nachts an allen Türen und brüllten rum. Der Fredl sagte zum Anthony, „da stehst dich mal vor die Tür, dann gehen die wieder.“ Das ist, weil der Anthony Muskeln hat. Der wollte aber nicht. Den Wolfi hat dann keiner erschossen, und er sich auch nicht. Danach sagte Roswitha, „ich hätte das machen sollen.“ Das war, als Wolfi beichtete, dass die Firma auf ihren Namen lief. Da hatte sie plötzlich eine Menge Schulden am Hals. Sie kam hoch in meine Wohnung und sagte, „ich hätte das machen sollen, den Dreckshund umlegen.“ Von da an wollte sie auch nicht mehr. Das heißt, sie wollte schon, aber nur gegen Bares. Weil der Dreckshund sagte, „wenn du schon hoch gehst, dann komm auch mit Geld runter.“ Ich sagte, „so läuft das nicht, du kannst doch nicht nach all den Jahren Geld wollen.“ Aber sie bestand drauf, und da steckte ich ganz schön in der Klemme.
Ich meine moralisch.
Ich hab´s nämlich nicht so dicke.
Mit Hartz IV hat man´s überhaupt nicht dicke.
Bin ich also zum Anthony rüber, und hab gefragt, ob er mir aushelfen kann.
Ob er mal ´nen Fuffi hat.
Den hab ich ihr gegeben.
Seither geht das immer so, und ich denk´, richtig ist das nicht. Dass ich Wolfis Schulden bezahle.
Dann mach ich´s doch wieder, und geh rüber zum Anthony, um einen Fuffi zu schnorren.
Der Anthony sitzt am Tisch, hat jede Menge Bücher um sich, und kritzelt in einen Schreibblock während die Glotze läuft.
Im Fernsehen zeigen sie afrikanische Bootsflüchtlinge auf den Kanaren. Die da mit dem Boot aus Afrika rüberfahren, die zeigen sie, und der Anthony sieht sich das an.
„Teneriffa“, sagt der Mann im Fernsehen, und ich sage, „da war ich auch schon.“ Mit Gundi, und den Kindern, aber das ist schon lange her.
Das ist eigentlich schon gar nicht mehr wahr.
Aber der Anthony zeigt mit dem Finger auf die Mattscheibe, und dann sagt er was, das klingt wie Hulahula. Das ist nicht deutsch.
Ist schon ein komischer Vogel.
Ich frage, „was meinst du?“, und er sagt, „die sollen zuhause bleiben.“
Anthony sagt, „ist besser, wenn die alle zuhause bleiben.“
Ich sage, „wenn du das sagst, wird´s wohl stimmen, und hast du mal ein Fuffi?“
Den gibt er mir, ich trag ihn rüber zu Roswitha, sie gibt ihn Wolfi.
So kommt der Fuffi rum.
Anders als ich. Seit dem Schlamassel geh ich kaum noch aus dem Haus. Mit Fredl Sonntags auf den Sportplatz, ab und an zum Arbeitsamt, dass zwar nicht mehr so heisst, aber sonst hat sich nichts geändert. Immer mal wieder hoch zum Bernd, und zum Fredl seiner Frau. Bei der sollte ich mich häufiger blicken lassen, aber ich hab keine Lust mehr. Meine Lust ist weg, ist wie der Fuffi weitergewandert.
Und der Anthony sitzt am Tisch und schreibt was.
Der komische Vogel.
Dann ist Nacht, und es scheppert vorm Haus. Wir sind ja Kummer gewohnt, aus den Zeiten, als Wolfis Kunden ihr Geld zurück wollten. Sonst ist bei uns eher ruhig, nur wenn sie am Mariahilfplatz den Bauernmarkt aufbauen, oder zur Auer Dult, dann scheppert´s. Jetzt ist kein Bauernmarkt und auch keine Auer Dult, Wolfis Kunden haben sich beruhigt oder aufgehängt, aber es scheppert trotzdem. Es scheppert unten an der Haustür, und dann schepperts im Gang, es scheppert vor Anthonys Wohnung, weil jemand die Tür eintritt. Jemand brüllt, und im Hof flackert Blaulicht. Der Fredl kommt raus und seine Frau, die mich böse anguckt, weil ich sie wieder versetzt habe. Dann steht Wolfi da und Roswitha, und von oben kommt der Bernd runter. Hat nur eine Unterhose an und ein Gina-Wild-Video in der Hand. Die Uta läuft die Treppen hoch in einem Nachthemd, das schon bessere Zeiten gesehen hat, und sie schreit: „Ja habt ihr sie nicht alle?“
„Habt ihr sie nicht alle?“, schreit sie. „Da unten schlafen Kinder!“
Ein Mann kommt aus der Tür vom Anthony, der hat eine Krawatte um. Außerdem sind da jede Menge Leute in Uniform.
„Zehn Minuten zum Packen“, schreit der Mann mit der Krawatte in Anthonys Wohnung, „keine Sekunde länger.“
Uta sagt, „Tickt´s bei Ihnen nicht richtig?“, und der Mann sagt irgendwas von illegal, Ausweisung, und dass in zehn Minuten wieder Ruhe einkehrt.
„Und zwar für immer“, sagt er, „da haben Sie sicher nichts dagegen.“
Anthony kommt raus, mit einem kleinen Koffer in der Hand. Er schaut uns an, und mir scheint´s, er will was sagen. Aber er sagt nichts.
Und dann sagt er doch zu mir, „die Bücher da drin, vielleicht kannst du sie brauchen. Das sind Wörterbücher.“
Ich denk mir, wozu brauch´ ich Wörterbücher, aber ich sag, „klar Mann. Ich kümmer mich um sie.“
Was ich da sag, macht wohl wenig Sinn.
Dann nehmen die in der Uniform den Anthony in die Mitte, und wollen die Treppe runter.
Da sagt der Fredl, „Moment mal!“
Der Fredl sagt, „wer soll denn jetzt den Rasen mähen?“
Fredl sagt, „das macht der Anthony, der macht das in exakten Streifen.“
Fredl sagt, „das kann keiner so gut wie er.“
Der Mann mit der Krawatte schaut den Fredl an, und sagt: „Wie wär´s mit ´ner Ziege? Wie wär´s, wenn Sie´s selber machen?“
Die in der Uniform grinsen. Aber der Fredl kennt keinen Spaß, wenn´s um seinen Fußball geht.
„Am Sonntag ist Spiel“, sagt er, „da muss der Rasen geschnitten sein. Der Anthony bleibt da.“
Uta sagt, „den Anthony brauch ich für die Hausaufgaben. Der schreibt die Aufsätze für den Klaus. Der macht Algebra für Tina. Der Anthony bleibt da.“
Wolfi sagt, „den neuen Hedge-Fond, den knobelt der Anthony aus. Da passiert mir keine Schote mehr wie´s letzte Mal. Den Anthony, den braucht das Land. Der bleibt da.“
Roswitha schaut mich an, und sagt: „Den braucht nicht nur das Land. Den brauch auch ich. Der Anthony bleibt da.“
Es gefällt mir ganz und gar nicht, wie sie mich dabei anschaut.
Fredls Frau sagt, „genau. Ich brauch ihn auch, den Anthony.“
Das gefällt mir noch weniger.
„Ist ja gut, Leute“, sagt der Mann mit der Krawatte, „jetzt geht ihr alle wieder ins Bett. Schönen Tag noch.“
Sie poltern mit dem Anthony in der Mitte die Treppe hinab, und Fredl sagt, „Scheiße auch, was machen wir jetzt?“
Der Bernd guckt auf sein Gina-Wild-Video, als ob da drin die Lösung steckt. Dann sagt er: „Kirchenasyl.“
Bernd sagt, „Kirchenasyl, drüben bei Maria Hilf. Ich meine, deshalb heißt die so. Ich meine, wenn nicht jetzt, wann dann?“
Roswitha stuppst mich mit dem Fuß und sagt, „na los! Mach was!“
Wieso immer ich, denk ich.
Ich hab seit dem Schlamassel nichts mehr gemacht. Hab zugesehen, wie Gundi mit den Kindern ins Auto stieg. Motor an, weg waren sie.
Hab zugeguckt und nichts gemacht.
Aber Roswitha sagt, „jetzt penn´ doch nicht“, und unten läuft schon wieder ein Motor.
Also renn ich runter, und die anderen rennen mit, und drunten geb ich dem Mann mit der Krawatte eins auf die Mütze, und ich muss sagen, das tut verdammt gut. Ich geb ihm gleich nochmal eine, für Gundi und die Kinder, und eine für Hartz IV, und eine für die Maschine, die meinen Job macht, und eine für den Schließservice, denen ich zu alt bin.  Wolfi tritt einen der Bullen, und ich denke, das ist für den Fond, der den Bach runterging. Einem anderen reißt Uta die Haare aus, für eine dunkle Kellerwohnung mit drei kleinen Kindern drin. Fredl beißt einen in Finger, denn nichts bringt ihn mehr in Rage als eine Fußballwiese, die nicht gemäht ist. Seine Frau hat wiedes alles falsch verstanden und küsst den, der Anthony am Schlawittchen hat, aber auch das zeigt Wirkung, denn der Bulle lässt ihn los. Bernd packt Anthony am Arm, und wir rennen rüber zur Kirche, poltern gegen die Tür. Die geht auf, schon sind wir drin.
Bernd schreit „Kirchenasyl, Kirchenasyl“, und dann lachen und hoppsen wir alle um den Anthony wie die Neger im Busch um den Gral.
Seither wohnen wir in Maria Hilf.
Ist jetzt ein halbes Jahr her, und ich muss sagen, in einer Kirche ist auch nicht schlecht. Unser Haus ist leer und trotzdem stehen Bullen davor. Bernd schlich sich rüber, und kam mit den Videos und dem Rekorder zurück. Seither haben wir was zu tun, und gucken Gina Wild. Auch der Pfarrer guckt mit.
Nur Anthony nicht. Der macht Hausaufgaben für Utas Kinder, rechnet dem Wolfi den Hedge-Fond aus, verdrückt sich immer mal wieder mit Fredls Frau, Roswitha oder Uta in die Sakristei. Einmal streckt er mir einen Fuffi hin, aber ich hab keine Lust mehr. Da nimmt er den Fuffi und stopft ihn ins Spendenkässchen.
Den ganzen Fuffi stopft er rein.
Ich muss schon sagen, das ist ein echt komischer Vogel, der Anthony.